Mönchengladbach Erinnerung an die merkwürdige Stille

Mönchengladbach · In einer eindringlichen Trauerfeier ließen sich am Donnerstag über 100 Bürger an das Schicksal der Gladbacher Juden im Dritten Reich erinnern. Dies sei auch aus aktuellem Anlass vonnöten, sagten die Redner Norbert Bude und Lea Floh.

Mönchengladbach: Erinnerung an die merkwürdige Stille
Foto: Hans-Peter Reichartz

Es sind die Details, die auch 74 Jahre nach der Zerstörung der Mönchengladbacher Synagogen schaudern lassen. Oberbürgermeister Norbert Bude ließ in seiner Ansprache Pfarrer Paul-Gerhard Aring zu Wort kommen, der als 12-jähriger Schüler des Stiftisch-Humanistischen Gymnasiums am 9. November 1938 sofort merkte, dass etwas nicht stimmt. Da war, von weitem erkennbar, schwarzer Rauch, der von der Blücherstraße über die Gladbacher Innenenstadt zog. "Doch es war merkwürdig still", erinnerte sich Aring noch 50 Jahre später. Keine Sirenen. Keine Hektik. Als er näher kam, sah er zwar Polizei und Feuerwehr vor der brennenden Synagoge. Doch die taten nichts — außer Witze zu reißen.

"Mir läuft es kalt den Rücken runter, wenn ich diesen Satz von der merkwürdigen Stille lese", bekannte Bude. Er nannte noch ein weiteres Detail, das er im Buch des RP-Redakteurs Holger Hintzen über die beiden Mönchengladbacher Juden Hans Jonas und Paul Raphaelson gefunden hatte. Auch die aus Mönchengladbach deportierten Juden mussten die Fahrkarte ins Verderben selbst bezahlen: Vier Pfennig pro Kilometer kostete die Bahnfahrt in die Vernichtungslager. Da Hunderte gemeinsam transportiert wurden, gewährte die Reichsbahn ihnen einen Gruppenrabatt. 638 Mönchengladbacher Juden wurden deportiert; nur 27 von ihnen überlebten. Nie wieder dürfe in Deutschland die Menschenwürde so mit Füßen getreten werden, sagte Bude. Wie wichtig dies sei, zeige die Mordserie der NSU und der Bericht von NRW-Innenminister Ralf Jäger, nach dem sich die Neonazi-Szene schwer bewaffne.

Auch die Vorsitzende Lea Floh, nannte in ihrer Ansprache aktuellen Grund zur Sorge. Es schmerze, wenn nun über die jüdische Tradition der Beschneidung in Deutschland als Körperverletzung diskutiert werde. Floh sprach vom 9. November als "Anfang vom Ende des europäischen Judentums". Die Toten von damals redeten noch heute. "Sie sind zum Leben verurteilt", sagte Floh. Sie appellierte angesichts "von wachsendem Antisemitismus" wachsam zu bleiben. Lea Floh: "Wir wollen Ihnen keine Schuld einreden. Verantwortung ist das richtige Wort."

(RP)
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