Nobelpreisträger in Mönchengladbach ElBaradeis eindringlicher Appell für den Dschihad des Herzens

Mönchengladbach · Er erfand den arabischen Frühling und legte sich mit den USA an: Mohamed ElBaradei beeindruckte am Mittwochabend mit seinem Vortrag die Zuhörer in der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach.

 Mohamed ElBaradei beeindruckte mit seinem Vortrag die Zuhörer in der Kaiser-Friedrich-Halle.

Mohamed ElBaradei beeindruckte mit seinem Vortrag die Zuhörer in der Kaiser-Friedrich-Halle.

Foto: Baum

Großes Pathos ist seine Sache nicht. Er setzt weder auf ausladene Gesten und starke Mimik noch auf Lautstärke und Modulation in der Stimme. Das muss Mohamed ElBaradei, Friedensnobelpreisträger und einer der großen Hoffnungsträger auf Frieden im Nahen Osten, auch nicht. Denn er wird auch so gehört. Vom ägyptischen Volk, das seinem Aufruf zur friedlichen Revolution vor zwei Jahren folgte. Von den USA, die den streitbaren Fechter für Frieden und Gerechtigkeit in der Bush-Ära nur zu gern als Direktor der Internationalen Atomenergieorganisation abgesetzt hätte. Vom Nobelpreiskomitee, das ihm 2005 den Friedensnobelpreis verlieh. Und von über 900 Mönchengladbachern, die ihm gestern Abend in der ausverkauften Kaiser-Friedrich-Halle eineinhalb Stunden aufmerksam folgten.

Nun hat ein Mann in Deutschland ein Heimspiel, der überzeugend für Demokratie einsteht, der ohne Rücksicht auf eigenes Leib und Leben für Frieden in seiner Heimat kämpft — und deswegen ein paar Bodyguards mehr braucht als andere Gäste des Initiativkreises. Der dann auch noch Deutschland und Europa als Vorbild für den Nahen Osten ausruft. Der das universelle der menschlichen Familie betont, das die Grenzen von Rassen und Religionen zu überwinden vermag. Und der appelliert: "Wir brachen einen Dschihad des Herzens." Doch ElBaradei ist nicht nur ein Freigeist und Mann der Tat, sondern auch ein unbequemer Mahner. Warum trauern die Deutschen um jeden im Ausland getöteten Europäer, wissen aber kaum um 70 000 tote Syrer, geschweige denn um zehn Millionen ermordete Kongolesen? Warum marschierten die USA im Irak ein — ElBaradei war seinerzeit überzeugt, dass Hussein keine Atomwaffen hat — warum wird der Iran, noch bevor er Atomwaffen besitzt verteufelt, gleichzeitig aber mit Nordkorea verhandelt? "Jedes Land, das Atomwaffen hat, macht die Welt unsicherer", sagt der 70-Jährige. Das Werkzeug auf dem Weg zum Frieden habe jeder: "Es ist der Dialog. Es ist Kooperation statt Konfrontation."

Sein Heimatland Ägypten sieht er davon weit entfernt. Die Entwicklung seit dem Sturz Mubaraks vor zwei Jahren sei ein Alptraum, gleiche "mehr einer Hinterhofschlägerei als Demokratie". Gerade sammelt er neun Millionen Stimmen für ein Referendum zu einer neuen Verfassung. Im Gespräch mit Autor Gero von Boehm hat er eine schlichte Antwort auf die Frage, was ihn umtreibt in seinem unermütlichen Kampf für den Frieden: "Ich will meiner vierjährigen Enkelin Vorbild sein, ihre Zukunft mitgestalten." Wer die Entschlossenheit des leisen, aber unerbittlichen Mahners gestern erlebte, versteht, warum die alten und neuen Herrscher in Ägypten ihn fürchten.

(RP)
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