Mönchengladbach Ein Morgenländer aus Siegen

Mönchengladbach · Er besitzt einen deutschen und einen iranischen Pass, ist in Siegen aufgewachsen, hat aber in den 90er-Jahren auch in Iran, in der Stadt Isfahan, gearbeitet. Die Rede ist von Navid Kermani. Der 44-jährige Wahlkölner, Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille und des Hannah-Arendt-Preises, kam jetzt zu einer Lesung ins Studio des Theaters.

Eingeladen hatten den hochgebildeten, vielbelesenen Orientalisten die Initiative "Eine Lobby für Utopia", die sich für einen Neubau der Zentralbibliothek einsetzt, und die Buchhandlungen Degenhardt, Prolibri und Wackes.

So wurden die etwa 80 Besucher im kleinen Studio einigermaßen auf die Geduldsprobe gestellt, ließen es sich die Initiatoren doch nicht nehmen, gleich im Doppelpack (Claus Flören und Peter Brollik) die Zuschauer auf ihr Anliegen und die Lesung einzustimmen. Immerhin bot Brollik eine aussagekräftige Einführung in Person und Schaffen des Autors, der hernach seinen bei Hanser erschienenen, über 1200 Seiten umfassenden Roman "Dein Name" präsentierte.

Schweifender Bilderreigen

Dabei beeindruckte Navid Kermani nicht nur durch die verlesenen Passagen aus seinem Riesenwerk, dessen Erzählduktus und schweifender Bilderreigen beständig zwischen Morgen- und Abendland oszilliert, nein, er verriet auch spannende Details seines Schreibkonzepts. Danach ist sein Roman "im Kern ein Totenbuch", das konsequent nur solche Menschen mit Namen würdigt, die bereits gestorben sind. "Um den Toten ein Gedächtnis zu bewahren mit den Mitteln des Schriftstellers", sagte Kermani. In mehrfach geschichteten Erzählebenen begegnen öfter auch Reflexionen des Ich-Erzählers, dem vor Jahren ein Mensch gestorben sei. Die Bandbreite der ausgeführten Gedanken repräsentierten bereits die ersten beiden Lese-Abschnitte. Auf die minutiöse Beschreibung der Erlebnisse um eine Frühgeburt, die auch schon üppig mit Philosophischem durchsetzt war, folgte ein Kapitel, das für das Grundverständnis des Buches wesentlich ist: Kermani hat die Aufzeichnungen seines vor längerer Zeit gestorbenen Großvaters als Vorlage für eigene Reflexionen dazu erwählt. Die Erinnerung an eine Reise jenes Großvaters im Knabenalter von Isfahan nach Teheran wird poetisch durchschossen mit kommentierenden Ausführungen des Erzählers, wie man das nüchterne Manuskript des ehemaligen Bankdirektors durch Umschreiben gehaltvoller machen könnte.

Fünf Jahre habe er an dem Roman geschrieben, antwortete Kermani auf eine Frage. Den Einwand eines iranischen Landsmanns, der im Buch den Ausdruck "Sterben" lieber durch "Abreisen" ersetzt gesehen hätte, ließ der Autor freundlich lächelnd einfach im Raum stehen. Souverän!

(RP)
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