Mönchengladbach Drei Städte in der Stadt

Mönchengladbach · Warum Gladbach ist, wie es ist: In einer Serie stellt die Rheinische Post Schlaglichter der Mönchengladbacher Geschichte vor, deren Spuren bis in die Gegenwart reichen. Heute: Als Odenkirchen und Rheindahlen zu Städten ernannt wurden und Rheydt sich wirklich zu einer entwickelte.

Nimmt man die nackten Fakten zur Hand, dann darf man einige Rheydter aus dem 19. Jahrhundert getrost als Visionäre bezeichnen. Da wäre zum Beispiel ein Bürgermeister namens Johann David Büschgens, der vergaß, das ein Brunnen Wasser braucht. Oder ein Pastor namens Johann Wülfing, der seinen Garten zu sehr liebte. Es geht um ein Rathaus, einen Marktplatz und darum, wie Rheydt eine Innenstadt bekam. Alles schon da gewesen, vor gut 150 Jahren. Von einem Tag auf den anderen im Jahr 1856 wurde aus drei Bürgermeistereien im Kreis Gladbach durch die preußische Städteverordnung Städte: Rheydt, Odenkirchen und Rheindahlen. Und Rheydt war damals nicht einmal die bedeutendste von ihnen.

Zum Ende der Franzosenzeit im Jahr 1815 gab es nur Bürgermeistereien. Rheydt erhielt wenig später die schöne Bezeichnung "Flecken". Das bedeutete: Weder ein Dorf, aber auch keine Stadt. Es gab nicht einmal einen regelmäßigen Markt. Im Gegensatz zu Odenkirchenn, das zwar auch ein Flecken war, aber Sitz der Kantonsregierung war und deutlich mehr Einwohner hatte. Dahlen hingegen fällt in der Hierarchie der drei Städte deutlich ab. Das Städtchen selbst wird zu dieser Zeit als ein Rundling mit 200 Metern Durchmesser beschrieben. Dazu kommt das Kirchspiel mit 43 Einzelhöfen, Weilern und Dörfern, die verstreut einen Kranz um Dahlen bildeten. Der einzige nennenswerte Wirtschaftszweig: Landwirtschaft. Und so beschaulich blieb Dahlen mindestens bis zur Umbenennung in Rheindahlen, während vor allem Rheydt kräftig wuchs.

Rheydt lag zu Beginn des 18. Jahrhunderts zwischen Odenkirchen und Rheindahlen — nicht nur geografisch gesehen. Das änderte sich schon 1829: Da hatte Rheydt bereits wesentlich mehr Einwohner, die Wirtschaft blühte, der Odenkirchener Strom kam aus Rheydt, ebenso das Wasser. Nur gab es kein Stadtzentrum, und das vermochte Bürgermeister Johann David Büschgens zu ändern. 1830 kaufte der Gemeinderat für 4268 Taler sein erstes Rathaus von einem Gemeinderatsmitglied und brachte darin das Versammlungszimmer, das Büro des Bürgermeisters, des Sekretärs, Zimmer für die Wachen, das Gefängnis und Klassenräume der Bürgerschule unter — vorbildlich wurde das Raumproblem gelöst. Die Rheydter akzeptierten dieses neue "Stadthaus" schnell, denn es wurde laut Christoph Waldecker "zur Keimzelle eines Stadtzentrums, da sich umliegend allmählich der Marktplatz bildete" — der Beginn eines Innenstadtkonzeptes, das seine vorläufige Vollendung zum Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr und seine Auswirkungen bis heute sichtbar sind.

Da war allerdings noch der Pastoratgarten im Weg. Er lag schön mittig dort, wo die Rheydter sich ihren Marktplatz wünschten. Aber Pastor Johann Wülfing dachte nicht daran, das Grün zu verkaufen. Bürgermeister Büschgens wartete noch sechs Jahre, bis der Pastor 1836 starb. Dann schlug die Stadt zu und bezahlte einen hohen Preis an die Gemeinde. In aller Eile ließ Büschgens nun bauen, und schon ein paar Monate später wurde der Marktplatz bei einem Besuch des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. eingeweiht und der Grundstein für einen Hohenzollernbrunnen gelegt, den die auf Geheiß des Prinzen Stadt bauen sollte — ziemlich genau an der Stelle, wo heute noch der Brunnen vor dem "neuen" Rheydter Rathaus steht.

Doch neun Jahre später, als Friedrich diesmal als König Rheydt erneut besuchte, musste Büschgens ein stadtplanerisches Missgeschick kleinlaut zugeben: "In der Eile der Vorbereitungen für das Fest und in der Ueberstürzung des Augenblicks hatten die Stadtväter übersehen, daß zur Herrichtung eines Springbrunnens vor allen Dingen eine geeignete Wasserleitung gehörte." Also bauten die Rheydter mit des Königs Genehmigung "nur" eine Pumpe mit gusseisernem Adler darauf — bis zum Abriss des alten Rathauses 1896 das Wahrzeichen der Stadt. Immerhin: Rheydt hatte seinen Marktplatz und wuchs nun wirklich zu einer Stadt. Von wegen "Flecken".

Zum Weiterlesen: Nohn, Christoph: Odenkirchen 1814-1929, in: Loca Desiderata, Band 3.2; Waldecker, Christoph: Rheydt 1815-1974, in: Loca Desiderata, Band 3.1; Walter, Michael: Rheindahlen von der Franzosenzeit bis 1921, in: Loca Desiderata, Band 3.1.

(RP)
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