Mönchengladbach Diebstahl in der Landesklinik

Mönchengladbach · "Da sind Sie falsch informiert", sagte die Dame im Personalbüro und richtete ihren Blick wieder auf den Bildschirm. Ihre Finger mit den leicht knotigen Gelenken, die in langen, roten Krallen endeten, flitzten über die Tasten. Ein Anblick, bei dem Jöris schwindelig wurde. Ob wegen der Krallen oder der Geschwindigkeit, war ihm nicht ganz klar. "Er hatte aber eine Mitarbeiterkarte von Ihrer Klinik in der ..." "Hatte!", unterbrach der Personaldrachen ihn.

Jöris brauchte einen Moment, bis er kapiert hatte, was sie damit sagen wollte. "Seit wann. . .", begann er. "Seit vier Tagen ist er nicht mehr bei uns beschäftigt. Alles, was die Polizei heute mit ihm zu klären hat, interessiert mich nicht mehr. Und wir haben damals keine Anzeige erstattet."

Jöris überlegte noch, wie er die stakkato in genervtem Mezzosopran vorgetragenen Informationsschnipsel zu einer sinnvollen Geschichte zusammenfügen sollte, als Richter sich unaufgefordert in das Gespräch einschaltete. "Jetzt hören Sie mir mal genau zu, Gnädigste. Entweder lassen Sie Ihre Tipperei jetzt sein und geben uns in ganzen Sätzen und freundlichem Tonfall die gewünschten Informationen, oder wir nehmen Sie mit aufs Präsidium, verschmieren alle Ihre zehn Finger mit extrem dauerhafter dunkelblauer Tinte und kürzen, sollte das nötig sein, vorher die hochglanzpolierten Kratzschaufeln auf ein stempelkissenverträgliches Normalmaß." Die Personalsachbearbeiterin der LVR-Klinik starrte Richter an. Jöris bemühte sich, genau das nicht zu tun. Er senkte den Blick vor sich auf die zerkratzte Resopalplatte des Tresens, der das Personalbüro seit vermutlich vierzig Jahren in zwei Hälften teilte. Die der Bittsteller und die der Bessergestellten. Der Anachronismus passte nicht zu den hellen Fluren mit der Kunst an den Wänden, durch die sie gekommen waren. "Schön, dass wir Ihre Aufmerksamkeit haben", sagte Richter mit beißendem Spott in der Stimme. "Und jetzt sind wir ganz Ohr."

Eine 50 000-Euro-Überweisung

Zwanzig Minuten später verließen sie das Personalbüro mit einer ganzen Flut an neuen Informationen und gestärkt durch einen ausgezeichneten kolumbianischen Hochlandkaffee sowie eine Auswahl an Plätzchen und Pralinen aus der Backstube einer international renommierten Gladbacher Konfiserie. "Gehst du immer so mit deinen Kontakten um?", fragte Jöris.

Er war noch unentschieden, ob er Richters Auftritt von vorhin gut oder schlecht finden sollte. Zwar hatte sein Eingreifen ihnen die uneingeschränkte Kooperation der Sachbearbeiterin und des Klinikleiters gebracht, aber das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit sicherlich nicht verbessert. "Nur mit renitenten Wichtigtuern, die mir auf den Sack gehen." Jöris zuckte zusammen. Immer mehr Kollegen machten sich die Sprache eindimensional gezeichneter Ermittler schlechter Krimis zu eigen und fanden sich cool. Jöris fand das einfach nur arm. "Also wurde Yurienkov entlassen, weil er geklaut hat?", fragte Jöris. "So habe ich das Herumgeeiere auch verstanden", bestätigte Richter. Der Kaffee hatte seinem Äußeren gut getan, fand Jöris. Die Augen blickten einigermaßen klar und die Tränensäcke waren kleiner geworden. Was führte dieser Mann eigentlich für ein Leben, dass er morgens so fertig aussah?

Das Handy unterbrach seine Grübelei. "Komm zurück und beruhige deine hübsche, junge Verdächtige, bevor sie einen von uns umbringt", sagte der Diensthabende genervt. "Was ist los?" "Du hattest ihr die Erlaubnis zur Überprüfung ihres Kontos abgerungen, richtig? Tja, und soeben wurden fünfzigtausend Euro auf ihr Girokonto überwiesen."

Alle Teile des Romans gibt es unter www.rp-online.de/moenchengladbach

(RP)
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