Mönchengladbach Die Welt dreht sich auch nach der WM weiter

Feiern kann man auch ohne Fanatismus. Den Elan der WM muss auch für die Zeit danach bleiben.

 „Die Sprache der Gefühle spricht jeder, versteht jeder, ist universal“, findet unser Autor. Das ist bei diesem deutschen Fan zu sehen.

„Die Sprache der Gefühle spricht jeder, versteht jeder, ist universal“, findet unser Autor. Das ist bei diesem deutschen Fan zu sehen.

Foto: dpa/Boris Roessler

Alle reden vom Fußball, so darf es auch hier sein. Natürlich erwarten wir das morgige Spiel unserer Elf mit Hoffen und Bangen. Doch wollen wir an dieser Stelle nicht spekulieren, sondern einen Blick auf die erste WM-Woche werfen. Es wird nur wenigen von uns möglich gewesen sein, rund um die Uhr alle Spiele zu verfolgen; doch manche interessante Paarung jenseits unserer Nationalmannschaft hat auch mich zum Zuschauen verlockt. Dabei ist meine Intention nicht, potentielle Gegner besser einschätzen zu können. Für mich ist anderes spannend und reizvoll. Es beginnt bereits mit den Nationalhymnen. Manche hat man bisher selten gehört, und ich muss oft über die Innbrunst staunen, mit der Spieler und Zuschauer ihre Hymne mitsingen. Und dann lasse ich mich vom Spiel selber gefangen nehmen. Aus der Distanz des „neutralen“ Zuschauers sieht man vieles anders, vieles genauer! Taktik und Spielzüge nimmt man deutlicher wahr, und bei den meistens unbekannten Spielern meint man, rasch ihre Vorzüge und Eigenheiten zu erkennen.

Doch irgendwann spüre ich, dass eine der Mannschaften mein Herz gewonnen hat. Es liegt wohl in der Suggestion des Spiels, dass man emotional nicht gänzlich unbeteiligt bleiben kann. Warum ich mit der einen Mannschaft mehr sympathisiere als mit der anderen, ist mir selber nicht genau bewusst. Es mögen verschiedene Gründe zusammenkommen: Einsatz und Kampfesmut, Fairness und Schiedsrichterentscheidungen, Können und (Un-)Glück. Doch oftmals ist es der „David-Goliath-Effekt“; das Herz ist immer eher bei den Kleinen! So mag ich sicherlich die Franzosen, bewundere ihre Sprache, verehre ihre Kultur, liebe ihre Lebensart, doch ich hielt mit den Australiern.

Auch die Kameraschwenks in die Zuschauer erfreuen mich in besonderer Weise. Die Fankultur bei einer Weltmeisterschaft scheint eine andere zu sein, als bei Liga-Spielen. Obwohl in den Gesichtern die Emotionen in all ihren Nuancen deutlich ablesbar sind, ist da kein Fanatismus, geschweige denn Hass. Gerade bei den ersten Spielen scheint mir die Freude über das Dabeisein, die Hoffnung auf einen guten Ausgang zu dominieren. Und aus welchen Enden der Erde die Zuschauer auch kommen mögen, man erkennt an ihrer Mimik und ihren Gesten genau, wie der Spielverlauf im jeweiligen Augenblick auf dem grünen Rasen ist. In diesen Reaktionen sieht man, welche Gefühlsskala wir Menschen zum Ausdruck bringen können, wie viel Emotionen in uns stecken und uns bewegen und vor allem, wie gleich wir sind! Die Sprache der Gefühle spricht jeder, versteht jeder, ist universal.

Wer wird Weltmeister? Gelingt Löw und Co. die Mission „5. Stern“? Natürlich lässt mich das Abschneiden unserer Mannschaft nicht unberührt. Unbeirrt bin ich davon überzeugt, dass gerade die jetzige schwierige Situation die Leistungen mobilisieren wird, die wir im ersten Spiel so schmerzlich vermisst haben. Aber es bleibt eben auch die Gewissheit, dass in diesen Zeiten, weiß Gott, wichtigere Missionen erfüllt werden wollen und müssen! Das ist doch das Wunderbare an einem Spiel. Dass wir uns ihm scheinbar ganz hingeben und „Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt“ mitfiebern können, um es dann am Ende doch einfach wieder liegen lassen zu dürfen. Denn wie immer die Weltmeisterschaft ausgeht, die Welt dreht sich auch danach weiter wie vorher, und das Leben fordert nachher die gleiche Verantwortung wie zuvor. Und diese müssen wir annehmen! Wichtiger als Meister in der Welt zu sein ist die große Menschheitsfamilie in dieser Welt! Ihr müssen wirklich unser Kampfesmut, unser Fairplay und unsere Gefühle gehören. Dann wartet kein Stern auf uns, sondern sogar ein ganzer Sternenhimmel!

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