Mönchengladbach Die Wahl im Kleinen — als Probe

Mönchengladbach · Der Wahlvorstand im Stimmlokal meldet das Ergebnis: Es sind 100 Stimmen zuviel. Der Computer streikt, und bei Wahlleiter Bernd Kuckels zeigt sich Angstschweiß auf der Stirn. Damit das nicht passiert, übten die Datenerfasser der Stadt jetzt die Wahl. Da passten alle Puzzleteile.

Dieser Gau sucht Walter Klerx nur in schlimmen Träumen auf: Kurz nach 18 Uhr fallen alle Server aus. Die Notfall-Sicherung gibt ihren Dienst auf. Zum Kommunalen Rechenzentrum nach Moers reißt die Verbindung ab.

Und die Batterien in den Notebooks sind leer und neue sind nicht aufzutreiben. Dann, und nur dann gibt es eine Wahl wie in den 50er, 60er und sogar teilweise in den 70er Jahren. Ohne Computer, ohne Excel-Tabellen und ohne die schnelle Präsentation der Ergebnisse auf eine große Leinwand im Rheydter Rathaus.

In diesem Fall bleibt nur noch eines: Alle Stimmen nicht nur per Hand auszählen, sondern auch für den jeweiligen Kandidaten addieren, in Prozent umrechnen — und das alles in Windeseile bis auf die zweite Stelle hinterm Komma genau. "Früher hatten wir Kollegen, die das Wahlergebnis noch rasend schnell ausrechnen konnten.

Doch seit es Computer und die Elektronische Datenverarbeitung gibt, war das alles hinfällig", sagt Klerx. Mit seiner Kollegin Birgit Bujak managt er den Ablauf der Wahl — und zwar den Teil, der die Erfassung der Stimmen aus den 180 Wahllokalen und die Umsetzung für die Leinwand-Präsentation betrifft.

Doch das Schreckensszenario eines Zusammenbruchs aller Systeme ist nahezu ausgeschlossen. Ein Wahl-Gau bleibt Klerx und seinen 24 Kollegen von der EDV der Stadtverwaltung wohl erspart. Zumal die Bundestagswahl am Sonntag eher als "kleine" Wahl gilt.

"Bei der Kommunalwahl hatten wir Sicherungen eingebaut", sagt Klerx. Das Jahr 2009 war für die EDV-Wahlexperten mit drei Abstimmungen ein Härtetest: Zuerst das "warming up" mit der Europawahl, dann die schweißtreibende Kommunalwahl mit einigen Unsicherheiten und schließlich die Bundestagswahl am Sonntag als "cool down".

Am Sonntagabend zählt im Grunde nur noch: Wann trudelt das letzte Ergebnis aus den Wahllokalen ein? Und wie schnell ist dann das Gesamtergebnis im Rheydter Rathaus zu sehen? Vor vier Jahren war es 21.34 Uhr. "Aber da gab es eine Panne. Es musste in einem Lokal nachgezählt werden", erinnert sich Klerx. Vor diesen Unwägbarkeiten ist Klerx' Mannschaft nicht gefeit. Damit aber zumindest die Kommunikation stimmt, dafür gab's jetzt einen Probelauf. Bundestagswahl im Kleinen sozusagen — und einige Tage vor dem eigentlichen Termin.

Da sind nicht nur flinke Finger gefordert, sondern auch Menschen, die merken, wenn auf der anderen Seite beim Wahlvorstand Panik ausbricht, weil die Zahlen einfach nicht zusammenpassen. So wie bei Uwe Zimmermann, der das imaginäre Ergebnis aus dem Altenheim Am Buchenhain eintippt.

Danach sagt ihm der schnell kombinierende und rechnende Computer: "100 +". Was besagt: Irgendwo in der Auflistung tauchen 100 Stimmen zu viel auf. Geduldig geht Zimmermann alle Stimmen durch: "CDU 251, SPD 173, Grüne 74, FDP 158" — und hier stecken die 100, die den Computer verwirrte. Dieser Lapsus ist schnell zu beheben. Doch was ist, wenn die Rechnung am Ende partout nicht stimmt und der Wahlvorstand die Nerven verliert und die Ermittlung des Stadtergebnisses gefährdet ist?

"Wir achten darauf, dass wir Mitarbeiter haben, die in solchen Stress-Situationen großes Fingerspitzengefühl zeigen", sagt Klerx. Zu den Kräften der EDV stößt beispielsweise bei jeder Wahl Beate Stevens zu, die ansonsten seit vielen Jahren im Straßenverkehrsamt Daten erfasst und diesen Druck kennt.

Und wenn trotz allem guten Zuredens der Wahlvorstand die Brocken hinwerfen will? Dieter Wilms, der seit 25 Jahren bei jeder Wahl die Ergebnisse erfasst, weiß um den letzten Rettungsanker, der in dieser Situation hilft: "Wenn's lichterloh brennt, müssen wir das Wahlamt informieren. Dann muss die Hilfe vor Ort geleistet werden."

Wenn die Ergebnisse auf der Festplatte des Computers sind, müssen sie für die Präsentation aufgearbeitet werden. Stefan Buse sitzt hier am entscheidenden Schalthebel: Was bei ihm mit einem "Okay" durchläuft, sehen die Politiker fast zeitgleich auf der Leinwand des Rheydter Rathauses. Das alles ist ein Puzzlespiel — so bald ein Teil nicht passt, ist der gesamte Ablauf gefährdet. Am Ende, wenn alles gut geklappt hat und Mönchengladbach nicht als Bummelant dasteht, klopfen sich die Stimmen-Erfasser in den engen Räumen an der Voltastraße selbst auf die Schulter. Meist der einzige Lohn. Nur 2004 war's anders: Da lud der OB alle zum Frühstück ein.

(RP)
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