Analyse Die Stadtbücherei wird zur Totenhalle der Ampel

Mönchengladbach · Heute bringen SPD, Grüne und FDP im Rat eine neue Stadtbücherei auf den Weg. Diese Entscheidung ist falsch – und folgenreich. Ob tatsächlich eine neue Bücherei gebaut wird, ist noch offen. Klar ist, dass die Ampel ihre Wähler mehr enttäuscht, als sie selbst glaubt.

 Die Totenhalle in Holt wurde einst zum Stolperstein für die Mönchengladbacher CDU. Die Stadtbücherei könnte für das Ampel-Bündnis eine ähnliche Auswirkung haben.

Die Totenhalle in Holt wurde einst zum Stolperstein für die Mönchengladbacher CDU. Die Stadtbücherei könnte für das Ampel-Bündnis eine ähnliche Auswirkung haben.

Foto: Hans-Peter Reichartz, Isabella Raupold

Heute bringen SPD, Grüne und FDP im Rat eine neue Stadtbücherei auf den Weg. Diese Entscheidung ist falsch — und folgenreich. Ob tatsächlich eine neue Bücherei gebaut wird, ist noch offen. Klar ist, dass die Ampel ihre Wähler mehr enttäuscht, als sie selbst glaubt.

 Die Totenhalle in Holt wurde einst zum Stolperstein für die Mönchengladbacher CDU. Die Stadtbücherei könnte für das Ampel-Bündnis eine ähnliche Auswirkung haben.

Die Totenhalle in Holt wurde einst zum Stolperstein für die Mönchengladbacher CDU. Die Stadtbücherei könnte für das Ampel-Bündnis eine ähnliche Auswirkung haben.

Foto: Hans-Peter Reichartz, Isabella Raupold

Es ist nicht mehr an der Zeit, Argumente auszutauschen. Die Ampel hat sich lange entschieden: Die städtebauliche Idee, dass es schön wäre, eine neue Stadtbücherei zwischen Museum und Hindenburgstraße zu bauen, wiegt für SPD, Grüne und FDP mehr als alle Zahlen, alle Alternativen, alle ökonomische Vernunft. Das ist ihr gutes Recht als politische Mehrheit. Wer ordentlichen Kaffeesatz hat, mag darin lesen, ob doch noch Vernunft einkehrt, ob die SPD, die intern schon jetzt leise mahnt, zu ihren Junior-Partnern irgendwann doch noch "Basta" sagt, ob die Regierungspräsidentin das Millionengrab noch rechtzeitig zuschaufelt. Fest steht: Noch gibt es ziemlich hohe Hürden, bevor die Bagger rollen. Noch ist längst nicht klar, ob aus dem Prestigeprojekt etwas wird. Wir werden sehen.

Es ist mehr an der Zeit, sich anzuschauen, was die Entscheidung politisch bedeutet. Wähler entscheiden sich seit einem Jahrzehnt mehr gegen als für Parteien. Im Bund musste irgendwann Kohl weg. Später dann Schröder. Im Land war es später mehr eine Wahl gegen Steinbrück als pro Rüttgers. Und auch in Mönchengladbach dominierte 2009 angesichts einer tief zerstrittenen CDU bei vielen Wählern das Gefühl: Sollen die sich mal ruhig weiter mit sich selbst beschäftigen; derweil können die anderen in Ruhe Politik machen. Wobei man mindestens als Fußnote erwähnen muss, dass die Wähler die Christdemokraten noch immer mit großem Abstand zur stärksten Fraktion machten, sie aber aus eigener Dusseligkeit daraus kein Kapital zu schlagen vermochten.

Es gab seinerzeit zwei Symbole für die abgelaufene Zeit der CDU. Im Osten der Stadt nahm man den Christdemokraten das absolutistische Gebaren beim Projekt Giesenkirchen 2015 übel. In der Reststadt schüttelte man den Kopf darüber, wie man fast eine Million Euro für eine Totenhalle in Holt ausgeben kann, die erwiesenermaßen kaum ein Mensch braucht. Beides nährte das ungute Gefühl, dass da eine Partei bar jeder Realität gerne mal entschied, was ihr höchstpersönlich in den Kram passte. Rot-Grün-Gelb mit ihrem Versprechen eines anderen Politikstils, von Transparenz, Bürgerbeteiligung und runden Tischen statt Hinterzimmern, wirkte da als Gegenentwurf modern und sexy.

Das ist lange her. Verdammt lange sogar. Wer Diskussionen in den Kneipen dieser Stadt oder bei Facebook verfolgt, begegnet erstaunlich vielen Wählern von SPD und FDP, nicht ganz so vielen der Grünen, die bekennen: Das haben wir so nicht gewollt. Und im öffentlichen politischen Diskurs beschränkt sich die Ampel allzu oft darauf, Argumenten mit dem Hinweis zu begegnen: Die CDU hat aber früher ... auch keinen Verkehrsentwicklungsplan auf die Reihe bekommen, auch Personalien nach Gutdünken entschieden, auch Konzepte nach langen Hinterzimmer-Abenden der staunenden Öffentlichkeit wider Experten-Rat als nun entscheidungsreif verkündet. Was übrigens in manchen Fällen stimmt. Aus dem kecken Anspruch der Ampel "Wir können's besser" ist längst ein deutlich zaghafteres "Die anderen haben es doch auch nicht besser gemacht" geworden. Das allerdings ist ein bisschen arg wenig. Zumal die innerparteiliche Zerstrittenheit der CDU einst nichts gegen den lähmenden Dauer-Ideologiekrieg aller gegen alle in der Ampel ist.

Und so bricht sich bei der Stadtbücherei eine Entfremdung zwischen Wählern und Parteien bahn, die erstaunliche Parallelen zur End-CDU-Phase 2009 hat. Vor allem den SPD- und FDP-Wählern ist der Furor fremd, mit dem ihre Parteien für eine neue Bücherei kämpfen. Viele von ihnen nutzen die Einrichtung an der Blücherstraße oft und gern — und vor allem ohne den Eindruck, dass es da auf gar keinen Fall so weiter gehen kann. Sie mögen ihre Bücherei wirklich und wollen sie sich nicht schlechtreden lassen. Und vor allem verstehen die rot und gelb denkenden Mönchengladbacher nicht, warum bei einem 25-Millionen-Euro-Projekt, dem mit Abstand größten der gesamten Ampel-Mehrheitszeit, plötzlich Transparenz, Expertenwissen und Bürgerbeteiligung so gar keine Rolle mehr spielen sollen.

Niemand hat so recht das Gefühl, als interessiere es die drei Parteien noch, was der Bürger in dieser Frage denkt und will. Die Ampel hat entschieden. Ende! Im Bekanntenkreis ständig erklären zu müssen, warum die Stadt ihre Schlaglöcher nicht mehr flicken kann, ihre Brunnen abstellt und ihre Parks verwahrlosen lässt, gleichzeitig aber eine neue Bücherei baut, macht den Ampel-Wählern auf Dauer auch keine Freude.

So droht das Thema Stadtbücherei für die Ampel das zu werden, was die Holter Totenhalle einst für die CDU gewesen ist. Ein Fanal dafür, dass der Wähler Politiker, die sich zu sehr und zu lange im Machtgestrüpp vergaloppieren, am Ende halt mit dem Lasso wieder einfangen muss.

(RP)
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