Mönchengladbach Die Macht des Stimmzettels

Mönchengladbach · Immer mehr Bürger gehen nicht zur Wahl. Der Verein "Aktiv für Mönchengladbach" will das ändern. Im Gespräch erklären der Vorsitzende Bernd Gothe und Schatzmeister Hans Dieter Jakubowski, wieso es sich lohnt, bei der Landtagswahl am 13. Mai wählen zu gehen.

 Auf jeden Fall mehr als 65 Prozent Wahlbeteiligung! Das erhoffen sich Prof. Dr. Hans Dieter Jakubowski (li.) und Bernd Gothe bei der Landtagswahl in knapp zwei Wochen. Die Einführung einer Wahlpflicht lehnen die Initiatoren des Vereins Aktiv für Mönchengladbach allerdings ab.

Auf jeden Fall mehr als 65 Prozent Wahlbeteiligung! Das erhoffen sich Prof. Dr. Hans Dieter Jakubowski (li.) und Bernd Gothe bei der Landtagswahl in knapp zwei Wochen. Die Einführung einer Wahlpflicht lehnen die Initiatoren des Vereins Aktiv für Mönchengladbach allerdings ab.

Foto: Isabella Raupold

Herr Gothe, Herr Professor Jakubowski, es war eine Weile still um den Verein "Aktiv für Mönchengladbach". Es waren allerdings auch eine Zeitlang keine Wahlen mehr...

Gothe Wir waren vielleicht still, aber nicht schlafend. Wir haben etwa Arbeitskreise gebildet, in denen überlegt worden ist, wie wir die Menschen — insbesondere Schüler — am besten erreichen. Aber klar: Die Wahl hat uns jetzt ebenso überrascht wie alle anderen.

Wie viele Mitglieder hat Ihr Verein eigentlich zurzeit?

Gothe Knapp 40. Darunter zum Beispiel auch der Oberbürgermeister.

Wie eng ist Ihr Kontakt zu den Parteien?

Gothe Mitglieder aus fast jeder Partei sind auch unserem Verein zugehörig. Darüber hinaus andere Organisationen der Stadt.

Jakubowski Es ist aber natürlich wichtig, dass der Verein Abstand zu den Parteien hat. Wir dürfen nicht im Verdacht stehen, politisch einseitig zu handeln.

Ziel des Vereins ist es, die Nichtwähler zu aktivieren. Weshalb liegt Ihnen das so am Herzen?

Jakubowski Es gibt viele Gründe. Zum Beispiel gelingt es extremen Parteien recht gut, ihre Anhänger zu mobilisieren. Wenn die Wahlbeteiligung irgendwann unter 40 Prozent fiele, entstünde eine Schieflage, durch die derartige extreme Parteien Macht ausüben könnten ohne eine wirkliche demokratische Legitimation durch die Mehrheit der Bevölkerung. Das darf nie geschehen.

Gothe Politik betrifft jeden. Die Bundestagswahl mag abstrakt wirken, aber die Landtagswahl ist konkret, sie ist nah bei den Bürgern. Das fängt etwa bei der Schulpolitik an, sie betrifft die ganze Familie.

Was genau haben Sie nun in den kommenden Wochen vor? Die Zeit bis zur Landtagswahl ist ja äußerst knapp.

Gothe Wir haben wieder 10 000 Postkarten gedruckt, die wir in Vereinen und Schulen verteilen werden. Auf ihnen wird unter anderem erklärt, warum es sich lohnt, wählen zu gehen. Auch wollen wir wieder eine Schüler-Diskussion veranstalten und im Fernsehen auftreten. Ich denke, dass wir auf diese Weise viele Menschen erreichen.

Sollte in den Schulen so etwas wie Wahlkunde gelehrt werden?

Gothe Hier stellt sich natürlich die Frage: Welchen Einfluss haben die Lehrer auf die Schüler? Wenn die Schüler sagen, es ist mir eh alles egal, dann haben auch die Lehrer keine Chance.

Sehen Sie also eher die Eltern in der Pflicht?

Gothe Wichtig ist es, den jungen Menschen wieder klar zu machen, dass sie nicht nur Freiheiten, sondern auch Pflichten haben. Man muss sie lehren, welche das sind. Das beginnt schon in der häuslichen Gemeinschaft.

Jakubowski Schulen und Familien sind hier gemeinsam in der Verantwortung. Früher wurde von den Schulen ein konkretes Bild von Bildung vermittelt. Heute leben wir in Zeiten, in denen oft die Belanglosigkeit und die Unverbindlichkeit dominieren.

Gab es schon Wahlen, zu denen Sie nicht gegangen sind?

Gothe Nein, das hat es bei mir noch nicht gegeben.

Jakubowski Bei mir ebenfalls nicht.

Haben Sie Verständnis für junge Nichtwähler, die denken, mit ihrer Stimme nichts bewirken zu können?

Jakubowski Immer weniger. Beim arabischen Frühling gingen Menschen auf die Straßen und ließen sich für die Demokratie erschießen. Unser Land profitiert seit vielen Jahren von der Demokratie. Durch Nichtwählen dokumentiert man, dass diese Entwicklung einem völlig egal ist. Und wer unzufrieden ist: Nur durch Wählen hat er die Chance, einen unliebsamen Politiker zu verscheuchen.

Seit einiger Zeit sorgt die Piratenpartei für Furore. Sie spricht viele Nichtwähler an. Wie beurteilen Sie das?

Jakubowski Ich habe bei der Piratenpartei ein ungutes Gefühl. Inzwischen ist ja aktenkundig, dass sich dort auch Personen mit rechtsextremen Überzeugungen engagieren. Und mir persönlich reicht es nicht, nur etwas anderes zu wollen, ohne inhaltliche Vorschläge zu machen.

Gothe Allerdings haben wir bei den Grünen dieselben Gedanken gehabt. Jahre später sagten wir: Die Grünen haben uns viel geholfen...

Jakubowski ...sie hatten aber von Anfang an eine Idee, die tragfähig war.

Die Piraten kritisieren insbesondere die repräsentative Demokratie. Sie stehen für eine stärkere Beteiligung der Bürger. Für wie gefährdet halten Sie das derzeitige Modell, wenn zukünftig vielleicht nur noch 30 Prozent zur Wahl gehen?

Jakubowski Die repräsentative Demokratie kritisch zu begleiten ist legitim. Dies liegt dem Prinzip unseres Allgemeinen Wahlrechts zugrunde, weil dadurch Macht nur auf Zeit verliehen wird. Es wahrzunehmen ist deshalb unverzichtbar. Unverzichtbar sind daneben auch unabhängige Rechtsprechung und freie Medien. Sie sind die entscheidenden Grundlagen für die permanente Beteiligung der Bürger am politischen Prozess. Ich blicke, was Deutschland betrifft, positiv in die Zukunft. Angesichts unserer geschichtlichen Erfahrungen im vorigen Jahrhundert kann ich mir nicht vorstellen, dass sich das Land in den nächsten Jahrzehnten radikalisiert.

Mönchengladbach hat traditionell eine sehr schlechte Wahlbeteiligung. Haben Sie inzwischen herausgefunden, woran das liegt?

Gothe Bei der Kommunalwahl ist sie ja schon ein wenig gestiegen. Das soziale Gefälle in der Stadt ist aber stärker als in anderen Städten. Ich denke, das spielt eine große Rolle. Zum Beispiel haben wir in Gebieten, wo die Wohnqualität hoch ist, eine sehr hohe Wahlbeteiligung, in anderen Gebieten allerdings eine extrem niedrige.

Mit welcher Wahlbeteiligung wären Sie denn zufrieden?

Gothe Alles unter 65 Prozent wäre für mich eine Enttäuschung.

Wenn alle Stricke reißen: Sollte der Staat eine Wahlpflicht einführen?

Jakubowski Nein, das Wesen der Demokratie ist die Freiwilligkeit.

Herr Gothe, Sie waren einst selbst in der Politik aktiv. Reizt sie Sie manchmal noch heute?

Gothe Ja, insbesondere dann, wenn man unzufrieden ist, gegen etwas rebelliert. Ich bin zum Beispiel seit meiner Kindheit sehr liberal eingestellt. Aber liberales Gedankengut gilt inzwischen in Deutschland kaum noch etwas.

Ralf Jüngemann und Fabian Eickstädt führten das Gespräch.

(RP)
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