Mönchengladbach "Die Hemmschwelle sinkt"

Mönchengladbach · Im Redaktionsgespräch spricht Johannes Daners, Spruchkammervorsitzender des Fußballkreises Mönchengladbach/Viersen, über seinen Job, Gewalt auf den Fußballplätzen, die Auswüchse im Profibereich, und er sagt, warum es hier in der Region noch recht ruhig zugeht.

 Johannes Daners wurde im Alter von 24 Jahren Spruchkammervorsitzender. „Nebenbei“ ist er Anwalt.

Johannes Daners wurde im Alter von 24 Jahren Spruchkammervorsitzender. „Nebenbei“ ist er Anwalt.

Foto: Ilgner

Herr Daners, Sie sind Spruchkammervorsitzender des Kreises Mönchengladbach/Viersen. Wie schaut man da als Experte auf jüngste Entwicklungen im Profifußball, etwa auf den Platzsturm beim Relegationsspiel zwischen Düsseldorf und Berlin?

Daners Als ich das im Fernsehen sah, sagte ich gleich, dass ich mir gut vorstellen könnte, dass drei Berliner jetzt nicht mehr mit aus der Kabine kommen und sich verletzt haben wollen. Dann wäre es schwer geworden, nicht zu dem Urteil zu kommen, dass die Partie wiederholt werden muss.

Hätten Sie anders entschieden?

Daners Den Berliner Einspruch halte ich für nachvollziehbar, das Urteil ist aber auch vertretbar. Aber ich kann verstehen, dass die Berliner die weiteren Instanzen anrufen.

Sie sind noch nicht einmal 32 Jahre alt, dennoch schon seit acht Jahren Spruchkammervorsitzender. Manche Spieler sind älter als Sie...

Daners Das war anfangs sicherlich nicht so einfach. Sie müssen sich vorstellen, dass mein Vorgänger 40 Dienstjahre auf dem Buckel hatte, die Spruchkammer wurde gerne als "Königlich Bayerisches Amtsgericht" betrachtet. Und dann kommt da so ein Knilch mit Mitte 20. Ich denke aber, wir haben uns bei Spielern und Vereinen Respekt verschafft — auch, weil wir sehr dienstleistungsorientiert arbeiten und Verfahren nicht unnötig in die Länge ziehen.

Wie darf man sich das vorstellen?

Daners In den meisten Fällen behandeln wir ja Beleidigungen gegen Schiedsrichter oder Gegenspieler. Oft sind die Fußballer mit ein wenig Abstand aber sehr einsichtig. Solche Verfahren können wir dann auch schriftlich abarbeiten, das spart Zeit und Geld. Wir regeln beispielsweise viel bereits im Vorfeld durch E-Mail-Verkehr, klären darüber schon einmal ab, inwiefern die Beteiligten sich einsichtig zeigen. Meist ist dies der Fall.

Im Moment hört man regelmäßig von steigender Gewalt auf den Fußballplätzen. Wie ist die Lage hier in Mönchengladbach?

Daners Im Vergleich zum Ruhrgebiet oder ähnlichen Regionen leben wir hier wirklich im Gelobten Land. Anderenorts gibt es jedes Wochenende massenhaft Spielabbrüche — wir kommen hier vielleicht auf zehn im Jahr, wovon es bei zweien dann vielleicht mal heftiger zuging.

Dabei ist doch die Sozialstruktur in Mönchengladbach und im Ruhrgebiet nicht unbedingt unterschiedlich.

Daners Das stimmt zwar. Aber unser Kreis ist sehr klein — und vor allem sehr ländlich ausgeprägt. Die Vereine kennen sich untereinander, die Spieler kennen sich untereinander. Da ist die Hemmschwelle, jemanden tatsächlich körperlich angreifen zu wollen, einfach viel höher. Deshalb landen viele Sachverhalte gar nicht bei uns: In der zweiten Halbzeit prügelt man sich noch auf dem Platz, beim dritten Bier war alles halb so schlimm — und nach dem vierten war dann der Schiri schuld, und alle haben sich wieder lieb. So kommt es oft vor, dass ich als Letzter von manchen Vorfällen erfahre.

Nimmt die Disziplinlosigkeit denn generell zu?

Daners Ich sehe, dass vor allem in den vergangenen Jahren die Hemmschwelle sinkt, vor allem gegenüber Schiedsrichtern. Aber die Situation für die Clubs ist auch nicht immer einfach. Zu einem Kreisliga-B-Spiel kommen vielleicht 40 Zuschauer. Wenn sich dann ein Zuschauer danebenbenimmt, kann das leicht zum Problem werden. Aber will man einem Club zumuten, für 40 Mann einen Sicherheitsdienst zu bestellen?

Was waren Ihre bislang krassesten Fälle?

Daners Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich drei Spieler zu je zwei Jahren und einmal zu 18 Monaten verurteilt. Sie hatten auf einen Schiedsrichter eingeschlagen, ihn dabei am Kopf verletzt. So etwas kommt zum Glück aber nur selten vor.

Und der kurioseste Fall?

Daners Es gab einmal einen Schiedsrichter, der bei seinen Partien Wertgegenstände aus den Kabinen der Spieler gestohlen hat. Der hat sich auch als Spieler irgendwo zum Probetraining angemeldet und dann die Mitspieler beklaut. Wir haben ihn auf Lebenszeit als Schiedsrichter gesperrt. Das Kurioseste ist aber noch: Der Schiedsrichter-Ausschuss hat mir gesagt, dass der Mann wirklich gut gepfiffen habe. Schade eigentlich.

Es scheint, als stünden Schiedsrichter besonders oft im Fokus.

Daners Das ist schon so. Man verprügelt ja nicht den gegnerischen Stürmer, der das Tor geschossen hat, sondern den Schiedsrichter, der das Abseits nicht geahndet hat. Das ist ein Phänomen, das immer schon so war.

Dabei gibt es auch nicht wenige Trainer, die den Schiedsrichtern im Kreis übertriebene Geltungssucht vorwerfen.

Daners (lacht) Diese Frage ist etwas fies — ich bin schließlich selbst nebenbei Schiedsrichter. Aber: Natürlich gibt es Vereine, die in schöner Regelmäßigkeit vor dem Gericht auftauchen — genau so gibt es Schiedsrichter, die immer wieder auffällig werden.

Woran liegt es denn, dass manche Vereine öfter auffällig werden als andere?

Daners Ich sage immer: Der Fisch stinkt vom Kopf. Zum Beispiel nach kurzfristigen Führungswechseln in den Clubs. In Vereinen wird ja oft der zum Präsidenten gewählt, der am lautesten herumkrakeelt. Das sind dann aber nicht diejenigen, die für fairen Umgang mit Offiziellen stehen. Wie sollen sie dann ein Vorbild für ihre Spieler sein?

Sie sind im Beruf selbst Jurist. Was ist in der Sportgerichtsbarkeit anders als im Zivil- und Strafrecht?

Daners Wir verhandeln viel schneller als reguläre Gerichte. Meistens sind wir von der Sportgerichtsbarkeit schon längst fertig, bevor das gleiche Verfahren vor einem Zivil- oder Strafgericht aufgenommen wurde.

Noch einmal zurück zum Profifußball — wäre ein Job vor einem DFB-Gericht nicht etwas für sie?

Daners Natürlich ist das reizvoll. Ich kann mir das gut vorstellen. Aber ich habe noch Zeit. Da kann ich noch viel Leistung bringen.

Sascha Köppen, André Schahidi und Jan Schnettler führten das Interview mit Johannes Daners.

(kpn)
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