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Mönchengladbach Die Gebetbücher aus Gladbach

Mönchengladbach · 140 Jahre wurden in der Großbuchbinderei mit Verlag A. Riffarth hochwertige Gebetbücher gefertigt. Die Büchlein waren Begleiter im Alltag und auch Symbol für den gesellschaftlichen Status. 44 Exemplare wurden 2007 als Schenkung aus dem Nachlass der Familie Riffarth der Stadtbibliothek Mönchengladbach übergeben.

 Einige der Exemplare aus der Sammlung (v.l.): aus schwarzem Samt (1864), aus Celluloid (1901), aus dunkelblauem Samt (1877), das kleinste Exemplar (1844), das einzige mit Metallplatte (1877), aus hellem (1863) und aus dunklem Leder (1875).

Einige der Exemplare aus der Sammlung (v.l.): aus schwarzem Samt (1864), aus Celluloid (1901), aus dunkelblauem Samt (1877), das kleinste Exemplar (1844), das einzige mit Metallplatte (1877), aus hellem (1863) und aus dunklem Leder (1875).

Foto: Raupold Isabella

Es sind kleine Schätze - mit blauem, rotem oder schwarzem Samt eingeschlagen, manche mit Leder, eins sogar mit Bakelit. Andere täuschen Elfenbein vor, sind aber aus einem für damalige Zeiten topmodernen Material: Celluloid. Es ist leicht formbar, aber leider auch leicht entflammbar. Weshalb zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar in einem Journal davor gewarnt wurde, die so eingeschlagenen Büchlein unter Weihnachtsbäume mit brennenden Kerzen zu legen.

 Das älteste Exemplar aus dem Jahr 1714 ist nicht aus Riffarth-Produktion.

Das älteste Exemplar aus dem Jahr 1714 ist nicht aus Riffarth-Produktion.

Foto: Raupold Isabella

Viele tragen das Kreuz auf dem Einband, manchmal reich verziert mit Ziernägeln, Deckplättchen, farbigen Metallplatten. Es gibt aber auch die puristische Variante. "Seelengärtlein" steht dort einfach in goldener Schrift auf dunklem Leder. 44 solcher Gebetsbücher befinden sich seit 2007 im Archivbestand der Stadtbibliothek Mönchengladbach. Sie sind einer Schenkung aus dem Nachlass einer einst sehr bedeutenden Unternehmerfamilie zu verdanken. Aloys Riffarth hieß 1816 der Firmengründer einer Buchdruckerei mit Sitz in Gladbach, vermutlich nahe des Kapuzinerplatzes, aus der später ein international aktives Unternehmen wurde: Großbuchbinderei, der Verlag A. Riffarth und die Herstellung von Heiligenfiguren gehörten dazu. In der Hochphase befand sich das Stammhaus an der Barbarossastraße.

Dort wurden auch in großem Stil die Gebetbücher produziert. Sie waren Begleiter im Alltag, vor allem bei Frauen beliebt. Deshalb haben sie im wahrsten Sinne des Wortes ein handliches Format, passen auch in eine kleine Tasche. "Man hat sie früher täglich in den Händen gehabt, um den Tücken des Alltags zu begegnen", sagt Marion Engbarth, Diplom-Bibliothekarin im Stadtarchiv. Deshalb haben die reichen Verzierungen auch nicht nur einen dekorativen Zweck, sondern dienten auch dem Schutz, damit das Büchlein, wenn es irgendwo aufliegt, nicht aufgerieben wird.

 Die reiche Verzierung spiegelte eine höhere Stellung in der Gesellschaft, die Schließe garantierte Privatheit. "Empor die Herzen!" ist der Titel, die Lithographie ist von B. Kühlen, ebenfalls aus Mönchengladbach. Die reiche Verzierung spiegelte eine höhere Stellung in der Gesellschaft, die Schließe garantierte Privatheit. "Empor die Herzen!" ist der Titel, die Lithographie ist von B. Kühlen, ebenfalls aus Mönchengladbach.

Die reiche Verzierung spiegelte eine höhere Stellung in der Gesellschaft, die Schließe garantierte Privatheit. "Empor die Herzen!" ist der Titel, die Lithographie ist von B. Kühlen, ebenfalls aus Mönchengladbach. Die reiche Verzierung spiegelte eine höhere Stellung in der Gesellschaft, die Schließe garantierte Privatheit. "Empor die Herzen!" ist der Titel, die Lithographie ist von B. Kühlen, ebenfalls aus Mönchengladbach.

Foto: Raupold Isabella

Das "Seelengärtlein", seit dem 15. Jahrhundert bis zur Reformation sehr beliebt, gehört laut Engbarth zu den nichtliturgischen, privaten Gebetbüchern - neben den liturgischen, die für den Gottesdienst benutzt wurden. Später entstanden Mischformen. "Das Gebetbuch wurde zum Erbauungs- und Andachtsbuch für alle Bereiche des Lebens", so Engbarth. Gebete für den Morgen oder für den Abend, für Krankheit, Sterben oder Tod, Messe oder Beichte. Einen anderen Typus bilden Handbücher des geistlichen Lebens zu Handbüchern des geistlichen Lebens - etwa das "Himmlisch Palm-Gärtlein" des in Mönchengladbach geborenen Jesuiten Wilhelm Nakatenus.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts spezialisieren sich Verlage darauf, Gebet- und Gesangbücher herauszugeben. Sie sind individuell gestaltet, spiegelten die gesellschaftliche Stellung wider: "Je aufwendiger, desto höher angesiedelt war die Besitzerin", sagt Engbarth. Einige haben einen dreiseitigen Goldschnitt. Reich verzierte Schließen an der Seite sind Zeichen der Privatheit. Um sie zu öffnen, musste leicht Druck auf den Buchdeckel ausgeübt werden "Daher kommt der Ausdruck, ein Buch aufschlagen", sagt die Diplom-Bibliothekarin. Alle haben einen ähnlichen Aufbau: Dem Vorsatz zu Beginn des Buches ist ein ganzseitiges Titelbild gegenübergestellt, ein so genanntes Frontispiz, meist passend zum Buchinhalt: "Empor die Herzen!" (ca. 1864), "Das allerheiligste Altarsgeheimnis" (1875), "Eucharistisches Vergissmeinicht" (1882), "Die ewige Anbetung" (1870) sind einige der Titel. Das Älteste im Bestand der Stadtbibliothek (nicht aus der Produktion Riffarth) ist aus dem Jahr 1714, das kleinste - eben jenes puristisch gestaltete "Seelengärtlein" misst in der Länge nur 8,4 Zentimeter.

All das ist schön anzusehen, erzählt aber auch Gladbacher Wirtschaftsgeschichte. "Der Verlag A. Riffarth hatte einen Laden in New York", sagt Brigitte Behrendt, Leiterin der Stadtbibliothek. Deshalb steht unter dem Verlag auch die amerikanische Metropole. Die Bücher aus Mönchengladbach wurden nach ganz Nordamerika, sogar bis nach China geliefert. Die letzte Tochter konnte sich noch daran erinnern, wie man mit Modellkoffern gereist war, um das Sortiment zu präsentieren. 50 Jahre lang, von 1874 bis 1925, wurde das Unternehmen sogar von einer Frau geführt - der Witwe Louise von Heill. Sie erhielt sogar einen persönlichen Dankesbrief samt Porträt des damaligen Papstes, Pius dem Neunten. Anlass war eine Schenkung des Verlags mit einer Sammlung von Gebetbüchern - sie hatte ihn begeistert.

Einige Exemplare aus der Sammlung sind in einer Vitrine im Foyer der Stadtbibliothek (Blücherstraße 6) ausgestellt. Nach einer Osterpause ist das Haus ab 18. April wieder geöffnet.

(RP)
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