Interview mit Roswitha Mirbach Die Belastungsgrenze der Stadtmitarbeiter ist erreicht

Mönchengladbach · Im Interview mit der RP spricht die Betriebsratsvorsitzende der Stadtverwaltung Mönchengladbach, Roswitha Mirbach, über Personalnotstand, den neuen Personaldezernenten und das Sparprogramm für Mönchengladbach. Sie befürchtet weitere Stelleneinsparungen und sähe die GEM gerne wieder in städtischer Hand.

 Die Betriebsratsvorsitzende der Stadtverwaltung, Roswitha Mirbach, befürchtet weitere Stelleneinsparungen und sähe die GEM gerne wieder in städtischer Hand.

Die Betriebsratsvorsitzende der Stadtverwaltung, Roswitha Mirbach, befürchtet weitere Stelleneinsparungen und sähe die GEM gerne wieder in städtischer Hand.

Foto: Detlef Ilgner (2), Isabella Raupold

Frau Mirbach, die Stadtverwaltung bekommt demnächst einen neuen Personaldezernenten. Was erwarten Sie von ihm?

Mirbach Er ist einer der Dezernenten, mit dem wir den meisten Kontakt haben. Er ist insbesondere zuständig für die Bereiche Personal und Organisation. Ich bin neugierig auf ihn. Persönlich getroffen habe ich ihn allerdings noch nicht. Ich war aber dabei, als er sich im Rat vorstellte. Wenn er im Amt ist, wird sich der Personalrat an den ersten Tagen mit ihm zusammensetzen und über verschiedene Themen sprechen.

Der neue Dezernent Hans-Jürgen Schnaß ist SPD-Mitglied. Welche Bedeutung hat eine Parteizugehörigkeit für Sie?

Mirbach Ich selber gehöre keiner Partei an. Eine gute Mischung aus verschiedenen Parteizugehörigkeiten halte ich bei den Dezernenten aber für sinnvoll. Am wichtigsten ist aber die Sacharbeit.

Wie viele Stellen sind bei der Stadtverwaltung derzeit nicht besetzt?

Mirbach Wir haben seit Jahren einen nicht ausfinanzierten Stellenplan, den der Personalrat kritisiert. Im Schnitt sind an die 300 Stellen nicht besetzt, das sind rund 8,5 Prozent. Das führt zu einer stetigen Aufgabenverdichtung und zu Mehrbelastung für alle Kollegen.

Wie macht sich das bemerkbar?

Mirbach Dies macht sich auch durch eine hohe Krankenquote bemerkbar. Wir hatten im Jahr 2011 einen Krankenstand von 7,13 Prozent. Das bedeutet umgerechnet nochmals 231 unbesetzte Stellen. Einige Kollegen sind für längere Zeit erkrankt. Insgesamt entsteht der Verwaltung durch Krankheit ein Schaden von 8,5 Millionen Euro. Deshalb fordern wir, mehr in die Gesundheit zu investieren, statt Krankheit zu finanzieren.

Ist die Stadtverwaltung überhaupt noch leistungsfähig?

Mirbach Ja, aber unter erschwerten Bedingungen. Es ist nun eine Grenze erreicht, mehr darf den verbleibenden Mitarbeitern nicht mehr zugemutet werden. Das Personal bringt eine gute Leistung.

Der Stärkungspakt verlangt weitere Sparmaßnahmen. Welche Befürchtungen haben Sie für den Personalbereich?

Mirbach Ich mache mir große Sorgen. Die Politik übt keine wirkliche Aufgabenkritik. Ich würde gerne wissen, was mit den Aufgaben passiert, wenn Stellen nicht besetzt sind. Wer soll die Arbeit erledigen? Ein Beispiel ist die Diskussion über die Reduzierung der Bezirksverwaltungsstellen mit bestimmten Serviceleistungen.

Wirkt sich das auf die Stimmung bei den Kollegen aus?

Mirbach Wir bekommen Botschaften, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Der Druck schlägt sich negativ auf das Betriebsklima nieder. Jeder überlegt, ob seine Stelle gestrichen und wie es dann für ihn weitergehen wird. Daher freut es mich, dass es bei uns keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Ausgenommen sind jedoch diejenigen, die einen auslaufenden Zeitvertrag haben. Oft sind dies Kolleginnen.

Wie sieht der Altersdurchschnitt der Verwaltung aus?

Mirbach Der liegt bei über 45 Jahren. Es gibt nur rund 300 Kollegen, die jünger als 30 Jahre sind. Unsere Alterspyramide sieht daher wie ein Pilz aus.

Die Wirtschaft sucht nach Fachkräften und lockt junge Menschen. Wird der öffentliche Dienst beim Werben abgehängt?

Mirbach Das kann passieren. Die Stadt bildet bedarfsorientiert aus und steht schon jetzt in einem großen Konkurrenzkampf. Das könnte es erschweren, junge Leute zu bekommen.

Wie steht es derzeit um die Bewerbungszahlen?

Mirbach Wir haben eine große Zahl an Bewerbungen. Das duale Studium macht eine Ausbildung für viele attraktiv. Bei uns gibt es neben der klassischen Beamtenlaufbahn auch noch andere Wege, die man einschlagen kann.

Der öffentliche Dienst hat bei einigen Bürgern einen schlechten Ruf. Es heißt: Die sind unkündbar, streiken und wollen immer mehr Geld.

Mirbach Bei der Verwaltung sind nicht alle unkündbar. Und von der Bezahlung her gibt es Unternehmen, bei denen sich deutlich mehr verdienen lässt.

Die Tarifrunde brachte dem öffentlichen Dienst ein kräftiges Plus. Warum ist das richtig?

Mirbach Wenn es immer nur ein Prozent mehr gibt, reicht das nicht für den Inflationsausgleich. Die Tarifverhandlungen müssen künftig auch wieder ein deutliches Plus ergeben. Insgesamt halte ich die Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst in Deutschland für schlecht. Im Dezember wird es die nächste Anpassung geben und 2014 dann die nächste Tarifrunde.

Sie müssen oft ausbaden, was Ihnen die Politik einbrockt. Die Bürger nehmen Sie und die Politik dann oft in Sippenhaft. Ärgert Sie das?

Mirbach Ich kenne die Vorurteile. Jeder will einen Sozialstaat, gute Verkehrsanbindungen und Serviceleistungen. Das geht nicht zum Nulltarif. Manchmal ist es auch schwer, Gesetze umzusetzen, die vom Bund oder vom Land geschaffen werden und von denen die Städte dann in die Pflicht genommen werden.

Politiker denken immer wieder darüber nach, Teile der Verwaltung auszugliedern — zum Beispiel bei den Kindergärten. Wäre das schlecht?

Mirbach Das ärgert mich sehr. Es gibt die Tendenz: Privat vor Staat. Dabei ist eine Vielfalt besser für die Wahlmöglichkeit der Eltern. Das muss erhalten bleiben.

Sie sind ausgebildete Erzieherin. Würden Sie jungen Menschen raten, im öffentlichen Dienst zu arbeiten?

Mirbach Prinzipiell würde ich den öffentlichen Dienst vorschlagen. Ich selber habe immer gerne bei der Verwaltung gearbeitet.

Was würden Sie der Politik vorschlagen, wie sie mit dem öffentlichen Dienst umgehen soll?

Mirbach Ich würde mir wünschen, dass es weniger Prüfaufträge aus der Politik für den Papierkorb gibt. Viele Kollegen müssen stundenlang in Ausschüssen sitzen und werden so von wichtigen Arbeiten in den Büros abgehalten. So entstehen exorbitante Überstundenkonten.

Wie sehen Sie die Diskussion um die Stadtbibliothek?

Mirbach Sie bietet ein breites und wichtiges Bildungsangebot. Ich selber lese sehr gerne und wünsche mir eine neue Stadtbibliothek. Man sollte allerdings darüber nachdenken, ob man so viele Standorte braucht.

Würden Sie es befürworten, wenn die Stadtbibliothek sonntags geöffnet hätte?

Mirbach Wir tun uns schwer mit den Öffnungszeiten am Sonntag. Eine dann geöffnete Bibliothek würde sicher gut angenommen. Wenn ein entsprechendes Gesetz kommt, werden wir kreativ damit umgehen müssen.

Rechnen Sie mit Klagen wegen der U3-Betreuung?

Mirbach Wir haben in der Stadt ein breitgefächertes Angebot. Ich mache mir mehr Sorgen um die Fachkräfte, auf die eine höhere Belastung zukommt.

Wenn sie noch einmal 20 Jahre alt wären: Würden Sie wieder im Kindergarten anfangen?

Mirbach Ich glaube ja. Ich habe dort gerne gearbeitet und Bildungsarbeit macht einfach Spaß. Erwachsenenbildung finde ich aber auch interessant.

Hat das Personal heute andere Fragen an den Personalrat als noch vor einigen Jahren?

Mirbach Zu uns kommen die Menschen nach wie vor, wenn sie Sorgen haben oder Hilfe brauchen. Größer geworden ist ganz klar die Sorge um den Arbeitsplatz. Ein großes Thema ist auch die Wertschätzung bezüglich der geleisteten Arbeit. Auch alles rund um die Gesundheit beschäftigt den Personalrat.

Ein Thema war in den vergangenen Wochen die Müllentsorgung. Fänden Sie es gut, wenn die GEM wieder städtisch würde?

Mirbach Das würde mich freuen. Bei uns gibt es bessere Arbeitsbedingungen als bei vielen privaten Anbietern. Regionale Arbeitsplätze müssen gesichert werden.

DIETER WEBER, GABI PETERS UND CHRISTIAN LINGEN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(cli)
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