Mönchengladbach Der Zeitzeuge eines spektakulären Mordes

Mönchengladbach · Reinhold Rickers war Kriminalhauptkommissar und 50 Jahre Geschäftsführer im Fußballkreis. 1952 erledigte er Botengänge für den Küster der Hauptpfarre, der seine Frau in der Kirche erschlug. Hans Helpenstein versteckte die Leiche seiner Frau drei Monate in der Sakristei.

 Reinhold Rickers in der Volksschule, etwa als Zwölfjähriger

Reinhold Rickers in der Volksschule, etwa als Zwölfjähriger

Foto: diwi/kn

Reinhold Rickers hat als Kind Schlimmes erlebt: als Fünf- und Sechsjähriger die Bombennächte in Gladbach, wenn es noch klappte im Bunker am Kapuzinerplatz. Nach Ende des Krieges und der Evakuierung bei Salzwedel mit Mutter und Bruder musste er an der Grenze der sowjetisch besetzten Zone sehen, wie ein Mann beim Fluchtversuch von den Russen erschossen wurde. "Und als wir schließlich am Gladbacher Hauptbahnhof ankamen, war die Hindenburgstraße nur noch anderthalb Meter breit, gesäumt von Trümmer-Grundstücken", erzählt der 76-Jährige.

Doch die Kinder verarbeiteten das Erlebte einigermaßen. Reinhold Rickers wurde zu einem echten Jung der Altstadt, heckte mit seinen Freunden manchen Schabernack aus. Sie unternahmen verbotene kurze Streifzüge in die größtenteils unter Wasser stehenden unterirdischen Gänge, die im 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648) angelegt worden waren und von der Münster-Krypta aus unter dem Alten Markt Richtung An der Stadtmauer führten. Ein Gang lief unter dem Anbau des Hauses Wallstraße 7 hindurch - Rickers Elternhaus, das die Bombennächte ziemlich unbeschädigt überstanden hatte. "Eines Tages brach im Anbau der Boden durch, und wir sahen in den überfluteten Gang", erzählt Rickers.

Reinhold übernahm als Botenjunge der Wäscherei Pötter am Alten Markt besonders gerne die Gänge zur Weiherstraße 10, wo die vermeintlichen Damen ein geradezu fürstliches Trinkgeld gaben: "Eine Mark. Ich wunderte mich nur, warum man in der Wäscherei so lachte, wenn ich fragte, ob es was dorthin zu bringen gäbe", erzählt Rickers schmunzelnd. Was er damals nicht wusste: Das Haus in der Nähe der Wasserpumpe am heutigen Alten Zeughaus mit den ihm gegenüber so spendablen Damen hatte einen Ruf, über den anständige Bürger allenfalls hinter vorgehaltener Hand sprachen. Und Reinhold ahnte schon gar nicht, was sich in dem Haus nächtens abspielte. Schließlich war er erst zwölf, begeisterter Messdiener und eifriger Helfer des Küsters und Organisten der Gladbacher Hauptpfarre St. Mariä Himmelfahrt am Alten Markt: Johannes Helpenstein, kurz Hans genannt.

 Das Haus der Familie Rickers an der Wallstraße 7

Das Haus der Familie Rickers an der Wallstraße 7

Foto: Nein

"Er war ein netter, freundlicher Mann", erzählt Rickers, der an manchen Tagen frühmorgens um sechs für den Küster die Kirche aufschloss, ihm auch sonst in vielen Dingen half. Und der mit seinem Freund Karl-Josef zum Hochamt im Glockenturm der Pfarrkirche gute fünf Minuten lang eifrig das Seil der kleinsten der drei Glocken zog, immerhin 33 Zentner schwer.

Reinhold Rickers erledigte viele Botengänge für den 31-jährigen Küster und seine ein Jahr jüngere Frau Elisabeth. Das Ehepaar wohnte mit seinem Kind, dem Anfang 1952 26 Monate alten Gregor, im oberen Stock des Hauses am Kirchplatz 7, direkt hinter der Hauptpfarrkirche. "Sie war ein nett Fräuke, wie man so sagte", schildert Reinhold Rickers die Küster-Gattin. Und Hans Helpenstein, der sein schmales Gehalt von 190 DM netto ein wenig als Sänger aufbesserte, wurde auch wegen seiner schönen, klangvollen Stimme gerühmt. Ein junges Paar, beliebt und geachtet. Bis Anfang 1952 das Unglaubliche geschah.

Ende Januar meldete Hans Helpenstein seine Frau bei der Polizei als vermisst. Er habe sie am Sonntag, 27. Januar, mittags gegen 12.30 Uhr, kurz nach der Kinderandacht, zum letzten Mal an der Tür zur Sakristei gesehen. Sie sei in Richtung Alter Markt gegangen, um einen kleinen Spaziergang zu machen, gab Helpenstein zu Protokoll. Als sie nicht nach Hause kam, hatten er und seine Schwiegereltern sie bis in den Abend gesucht - vergebens. Elisabeth tauchte nicht wieder auf.

"Ich war wie so viele Mitglieder unserer Pfarre zutiefst schockiert, dass seine Frau weg war. Es wurde vermutet, sie sei entführt worden. Ich habe Mitleid gehabt und ihm geholfen, wo ich konnte", erzählt Reinhold Rickers. Er bedauerte ihn auch, als allmählich Gerüchte aufkamen, der nette Küster habe eine Freundin in Düsseldorf. Die hatte er indes, wie sich später herausstellte, tatsächlich, im November 1951 über eine Chiffre-Kontaktanzeige in der RP ("Jg. Mann, 30 J., sucht auf diesem Wege kath. Mädchen zwecks evtl. Heirat kennenzulernen") gefunden. Die 25-jährige Küchenhilfe aus Düsseldorf allerdings hatte keine Ahnung, dass er nicht der Montageleiter Hans Neuhofer war, als der er sich vorgestellt hatte, und auch nicht, dass er verheiratet war und ein Kind hatte.

Die Polizei suchte Elisabeth Helpenstein weiter vergebens, schloss auch den Ehemann bei ihren Ermittlungen schließlich nicht aus, fand aber nichts Belastendes. Es sollte fast drei Monate dauern, bis Elisabeth Helpenstein gefunden wurde - verwest hinter einem Chorgestühl in der Hauptpfarrkirche.

Am 15. April 1952 war Probst Ferdinand Koenen verstorben, der Pfarrverwalter regte an, in der Sakristei Veränderungen vorzunehmen. Und der Küster fürchtete, dass sich dies auch auf den kleinen Raum im Obergeschoss auswirken könnte. Dorthin hatte Helpenstein am 27. Januar seine Frau gelockt, ihr mit einem bereitgelegten Beil den Kopf eingeschlagen und die Leiche in dem stählernen Tresor eingeschlossen, in dem Monstranzen, Kelche und andere wertvolle Dinge der Kirche aufbewahrt wurden. Den einzigen Schlüssel hatte der Küster, und er verbot der Putzfrau wochenlang, dort oben sauber zu machen. Fast drei Monate blieb die Leiche unentdeckt im geruchsdichten Tresor. Bis zum 21. April, als Hans Helpenstein sie aus Sorge, sie könne bei einer Besichtigung gefunden werden, den Entschluss fasste, sie nachts wegzubringen. "Doch dabei wurde er gestört und legte die Leiche hinter das Chorgestühl des Marienaltars im linken Seitenraum", berichtet Reinhold Rickers. Erst zwei Tage später wurde sie entdeckt: Eine Putzfrau bemerkte am Nachmittag des 23. April einen gewissen Verwesungsgeruch und fand die Leiche. "Wenn eine Leiche so lange dagelegen hat, ist der Verwesungsgeruch nicht mehr stark", erklärt Rickers, der spätere Kripo-Kommissar, weshalb es zwei Tage gedauert haben kann, bis Elisabeth Helpenstein hinter dem Chorgestühl entdeckt wurde. Die Polizei fand im oberen Sakristeiraum Blutspritzer, einen vor nicht langer Zeit übermalten Holzboden, das mit Blutspuren behaftete Beil - das aus Helpensteins Haushalt stammte. Der Küster wurde festgenommen und gestand am Abend des 24. April die Tat.

Hans Helpenstein wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. "Er verbüßte dies in Münster", weiß Reinhold Rickers. Wann Helpenstein starb, ist ihm nicht bekannt. Das Beil, mit dem der Küster seine Frau erschlagen hat, hat die Polizei der Pfarrgemeinde zurückgegeben — es wurde dort jahrzehntelang bei Führungen gezeigt und auch noch bei Arbeiten genutzt, bis es bei dem Umbau des Gotteshauses zur Citykirche vor einigen Jahren verschwand.

(RP)
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