Mönchengladbach Der Wandel der LVR-Klinik

Mönchengladbach · Dr. Stephan Rinckens, Ärztlicher Direktor der LVR-Klinik in Mönchengladbach, über neue Aufgabenfelder der Psychiatrie, die Faszination des Berufs und die veränderte Wahrnehmung der Öffentlichkeit gegenüber der Einrichtung.

 Dr. Stephan Rinckens, Ärztlicher Direktor der LVR-Klinik in Mönchengladbach, über neue Aufgabenfelder der Psychiatrie, die Faszination des Berufs und die veränderte Wahrnehmung der Öffentlichkeit gegenüber der Einrichtung.

Dr. Stephan Rinckens, Ärztlicher Direktor der LVR-Klinik in Mönchengladbach, über neue Aufgabenfelder der Psychiatrie, die Faszination des Berufs und die veränderte Wahrnehmung der Öffentlichkeit gegenüber der Einrichtung.

Foto: Reichartz

Herr Dr. Rinckens, seit sechs Jahren sind Sie Chefarzt der Rheinischen Kliniken in Mönchengladbach, sind in den Fachbereichen Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie tätig. Dabei wollten Sie ursprünglich Chirurg werden . . .

Rinckens Ja, wie mein Großvater es auch war. Er war für mich sicher ein sehr prägendes Vorbild. Während meines Medizinstudiums in Berlin haben sich die Pläne jedoch geändert. Im letzten, dem praktischen Jahr meines Studiums, hatte ich die Möglichkeit einen Schwerpunkt zu wählen— ich entschied mich für den Bereich Psychiatrie.

Was waren Ihre Beweggründe für die Wahl dieses Schwerpunktes?

Rinckens Ein grundsätzliches Interesse an psychischen Erkrankungen sowie deren Auswirkungen und Behandlungen war schon recht früh vorhanden. Es ist ein Erfahrungsraum, der von der Gesellschaft häufig ausgeblendet wird. Mich interessierten die Hintergründe und ich wollte die Chance wahrnehmen, mehr zu erfahren. Während meiner Arbeit in der Berliner Nervenklinik hatte ich dann das Glück, Frau Dr. Ursula Plog kennenzulernen. Sie war eine Schlüsselfigur der Psychiatriereform seit den 70er-Jahren. Ihre Haltung, psychisch erkrankte Menschen nicht als etwas Fremdes anzusehen, hat mich sehr geprägt und sicher zu meiner Facharztausbildung motiviert.

Wie setzen Sie diese Haltung im täglichen Umgang mit den Patienten um?

Rinckens Diese Haltung drückt sich in der Aufmerksamkeit für die Begegnung und im Gespräch aus. Wir bemühen uns, uns auf den anderen einzulassen. Das gilt für die Patienten sowie für die Angehörigen und natürlich auch untereinander für die Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichen Berufsgruppen. Dabei ist mir die Begegnung auf Augenhöhe sehr wichtig. Natürlich müssen wir manchmal auch Entscheidungen treffen. Die Solidarität mit dem anderen, kranken Menschen beinhaltet aber auch die Achtung und den Respekt vor seiner Autonomie.

Was sind die Hauptaufgaben der Psychiatrie?

Rinckens Zuallererst ist es die Aufgabe der Psychiatrie, Menschen in unterschiedlichsten Entwicklungskrisen zu begleiten und dabei zu unterstützen, ihr eigenes Gleichgewicht wiederzufinden. Manchmal gehört dazu auch entschiedene Verantwortungsübernahme durch uns Fachleute. Als einzelne Menschen, aber auch als Institution Psychiatrie sind wir in der jeweiligen Behandlungssituation Krisenhelfer. Darüber hinaus wollen wir der Stadt, als Gemeinschaft der Bürger, helfen, auch mit den Menschen zu leben, die durch ihre psychischen Erkrankungen in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben erheblich eingeschränkt sind. Wir können manchmal unseren Patienten, gerade langfristig erkrankten, ihre Last nicht abnehmen, aber wir können helfen, die Last zu tragen und einen Weg zu finden. Genauso wollen wir die Stadt unterstützen, auch ihren erkrankten Bürgern die Teilhabe am Leben in unserer Stadt zu ermöglichen. Auch das ist ein Ausdruck der Solidarität unter Menschen. Dazu ist es vor allem nötig, Gelegenheit zur Begegnung zu schaffen. Begegnung von Menschen benötigt jedoch Raum und Zeit, um Lern- und Entwicklungsschritte möglich zu machen.

Entwicklungsschritte hat auch die LVR-Klinik Mönchengladbach gemacht. Sie wurde 1972 aus der Psychiatriereform heraus gegründet. Wie war es vorher?

Rinckens Früher gab es in Mönchengladbach vielleicht einen Psychiater und einen Sozialarbeiter. Eventuell noch eine halbe Beratungsstelle bei der Stadt. Wenn jemand psychisch krank wurde und professionelle Hilfe benötigte, musste der Patient in die Klinik nach Süchteln. Dort war das nötige Know-how vorhanden. Der Landschaftsverband machte daraufhin mit dem Gedanken der Gemeindepsychiatrie Ernst und gründete die heutige LVR-Klinik. Sie wurde nicht als Außenstelle der Klinik in Süchteln gegründet, sondern hatte einen eigenen Versorgungsauftrag für die Region Mönchengladbach. Auf diese Weise wurde die nötige Kompetenz auf diesem Gebiet in unsere Stadt gebracht.

Eine Kompetenz, die sich mittlerweile in verschiedene Bereiche ausgeweitet hat . . .

Rinckens Es war von Anfang an Hauptanliegen der LVR-Klinik Mönchengladbach, nicht nur den klinischen, stationären Aspekt zu entwickeln, sondern ein gemeindepsychiatrisches Netzwerk aufzubauen. Dazu gehören Kooperationen zu gemeindepsychiatrischen Einrichtungen, wie dem Reha-Verein und dem Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Mönchengladbach. So wird nach und nach ein immer tragfähigeres Netzwerk aufgebaut.

Sie waren in Berlin, Frankfurt und auch in England aktiv, sind vor sechs Jahren nach Mönchengladbach, ihren Geburtsort, zurückgekehrt. Hat sich das Konzept der Klinik seitdem gewandelt?

Rinckens Das Konzept unserer Klinik wird beständig weiterentwickelt. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich stehen dabei sicher in einer Kontinuität mit meinen Vorgängern, Herrn Dr. Veltin und Herrn Dr. Seidel, und allen früheren Kolleginnen und Kollegen. Dabei liegen uns die Grundgedanken des Landschaftsverbands Rheinland, die Förderung der Solidarität untereinander und die Schaffung inklusiver Lebensverhältnisse, besonders am Herzen. Dies kann am besten durch die Förderung gemeindenaher psychiatrischer Behandlungsstrukturen erreicht werden. Diese Haltung war mir immer besonders wichtig. Insofern war die Möglichkeit, gerade in Mönchengladbach für die Dinge, die mir am Herzen liegen, aktiv zu werden, eine große Chance für mich.

Haben sich die Aufgaben und Erwartungen an die Klinik geändert?

Rinckens Wir werden heute für ganz andere Fragestellungen in Anspruch genommen als noch vor 20 Jahren. Mittlerweile kommen auch Menschen zu uns, die früher einen weiten Bogen um die Psychiatrie gemacht haben. Dabei spielt vielleicht auch eine Rolle, dass die räumlichen Bedingungen in unserer Klinik so gut geworden sind. Wir bemühen uns, Begegnungsräume zu schaffen, wie unser Sommerfest, bei dem jeder die Klinik kennenlernen kann. So versuchen wir Brücken zu bauen, die dazu beitragen, dass Hemmschwellen vor der Psychiatrie abgebaut werden. Eine absolute Akzeptanz in der Gesellschaft ist aber sicher noch nicht erreicht. Das Bemühen um diese Begegnung muss immer wieder neu erfolgen.

Ist es bei der hohen Zahl an Patienten und den kurzen Verweildauern überhaupt möglich, die Patienten adäquat zu begleiten?

Rinckens Wir haben einen sehr hohen Aufnahmedruck und sind nahezu durchgehend ausgelastet. Die Verweildauern in der Klinik sind zudem im Laufe der Zeit und mit dem Aufbau der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten in der Stadt beachtlich gesunken. In den letzten sechs Jahren hatten wir eine durchschnittliche Verweildauer von rund 24 Tagen. Man muss dabei jedoch berücksichtigen, dass sich auch das Spektrum der Erkrankungen geändert hat. Wir werden auch zur Krisenintervention in Anspruch genommen. Hier ist dann oft eine langfristige stationäre Behandlung gar nicht erforderlich. Dadurch reduziert sich die durchschnittliche Verweildauer. Bei langwierigen Erkrankungen dauert dann auch die Behandlung entsprechend länger.

Inge Schnettler, Dirk Richerdt, Sarah Biere und Simon Janssen führten das Gespräch.

(jasi)
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