Mönchengladbach Der schlimme Traum des Unteroffiziers

Mönchengladbach · Matthias Gehrt inszeniert Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür" im Theaterstudio.

 Auch wenn Beckmann (Adrian Linke, mit Helen Wendt) hier körperliche Nähe erfährt, rettet ihn diese Zuwendung nicht aus seiner Depression. Der Schauspieler bekommt etwa 90 Minuten lang künstlichen Regen auf der Studiobühne ab. Wenigstens darf Adrian Linke beim Auftritt eine Wathose tragen.

Auch wenn Beckmann (Adrian Linke, mit Helen Wendt) hier körperliche Nähe erfährt, rettet ihn diese Zuwendung nicht aus seiner Depression. Der Schauspieler bekommt etwa 90 Minuten lang künstlichen Regen auf der Studiobühne ab. Wenigstens darf Adrian Linke beim Auftritt eine Wathose tragen.

Foto: Matthias Stutte

Nach dem Einpersonenstück "Novecento" gibt es im Theaterstudio wieder eine große, fordernde Rolle für Charakterdarsteller Adrian Linke. In "Draußen vor der Tür", jenem todtraurigen, depressiven Heimkehrerdrama des vom Krieg zugrunde gerichteten Wolfgang Borchert, dessen Uraufführung 1947 der unbotmäßige Soldat nicht mehr erleben durfte - Borchert starb einen Tag vor der Uraufführung -, spielt Linke den Beckmann. Mit der skurrilen Gasmaskenbrille - Marke Eigenbau - und dem schäbigen Soldatenmantel steht er von Beginn an im Regen. Buchstäblich. Dafür hat Bühnenbildnerin Gabriele Trinczek eigens eine aufwendige Sprinkleranlage über dem Spielkarree anbringen lassen.

Komisch wirkt dieser Anblick allein auf das Mädchen, das den Beinahe-Selbstmörder am Elbufer bei Blankenese aufliest und mit nach Hause nimmt. Doch für den "nassen Fisch" wird die Lage dadurch nicht angenehm: Der kriegsversehrte Ehemann der Frau kehrt an Krücken heim, geht danach selbst ins Wasser und klagt nun Beckmann an, ihn ermordet zu haben.

Der traumatisierte Veteran erzählt seinem ehemaligen Vorgesetzten seinen allnächtlich wiederkehrenden Traum, in dem der Tod in Generalsuniform auf einem Xylofon aus Menschenknochen spielt. Diesem möchte er, um endlich wieder schlafen zu können, seine Verantwortung aus dem Russlandfeldzug zurückgeben. Doch der saturierte Oberst wehrt dieses Ansinnen mit perfekter Verdrängungstechnik ab. Adrian Linkes wilder, anklagender, rau artikulierter Monolog geht tief unter die Haut - der Schauspieler missachtet dabei bewusst Regeln gefälliger Darstellung. Wenn er Jim Morrisons Song "Unknown Soldier" im Liegen verzweifelt in den strömenden Regen der grauen Novemberbühne hinausschreit, muss das Element Ästhetik einmal dispensiert werden. Gerade dadurch wirkt dieses ehrliche Spiel grandios - antike Tragödie im 20. Jahrhundert.

Ronny Tomiska streift um den humpelnden Verlorenen herum, als "Anderer", der auch Beckmanns optimistischeres Alter Ego meint. Die einzige Szene, in der andeutungsweise Humor durchschimmert, ist die Begegnung mit der personifizierten Elbe, die den "Grünschnabel" wieder auf den Sand spuckt und so vor dem Ertrinken rettet. Da bellt Nele Jung, eine langmähnige, zottelige Anti-Loreley, als Flussmutter den Suizidkandidaten in deftigem Missingsch der Hafenstadt an, dass es ganz herzerfrischend klingt: "Ich scheiß' auf deinen Selbstmord", lautet ihre Quintessenz.

Nele Jung verkörpert als Beerdigungsunternehmerin auch den Tod, der sich an den vielen Toten im und nach dem Krieg überfressen hat und an Schluckauf leidet. Joachim Henschke gelingt in seinen vier Rollen - als wehleidiger Gott, abgefeimter Oberst, Kriegsversehrter und als feiger Kabarettdirektor - die größte Ausdrucksvielfalt der fünf Akteure. Helen Wendt spielt famos das Mädchen, das gern an eine Zukunft glauben möchte - doch ihr angstvolles Mienenspiel verrät, dass der Krieg auch sie gezeichnet hat.

Regisseur Matthias Gehrt lässt am Ende Beckmanns Frage "Gibt denn keiner Antwort?" im trostlosen Bühnenraum verklingen. Das Premierenpublikum verschaffte sich allzu gern nach einer Stunde 40 Minuten Luft und vertrieb seine Beklommenheit durch anerkennendes Applausgewitter. - Weil alle Vorstellungen von "Draußen vor der Tür" ausverkauft sind, setzt das Theater zwei Zusatztermine an: am 5. Dezember und wieder am 8. Februar. Kartentelefon: 02166 6151-100.

(RP)
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