Kairotisch (6) Der Klang von Lärm und Stille

Mönchengladbach · Die 24-jährige Katja Möltgen aus Mönchengladbach verbringt drei Monate an einem Ort, den Touristen derzeit eher meiden: in Ägyptens turbulenter Hauptstadt. Auf RP Online berichtet sie regelmäßig von ihren Eindrücken.

Kairotisch (6): Der Klang von Lärm und Stille
Foto: Katja Möltgen

Ich habe Kairo bislang nicht verstanden. Also — akustisch, meine ich. Die Metropole Afrikas, Menschen und Autos pulsieren wie heißes Blut durch die Adern, und statt mit Sauerstoff versorgen sie jedes Organ mit dem lebenswichtigen Elixier: Lärm. Alles handelt, alles bewegt sich, alles ist laut. Jede Unterhaltung auf der Straße klingt wie eine Diskussion der Linken über Deutschlands Zukunft, und die Gespräche werden nur durch den Verkehrslärm übertönt. Die Hupen wiederum werden nur noch übertönt vom Gebet, das fünfmal täglich aus tausend Lautsprechern klirrend schallt und sich tief in jedem Innenohr einnistet.

Stille macht die Kairoer unruhig. Ich war drei Tage lang mit fünf Kairoern auf dem Sinai, einer Wüste aus Meeresgebirgen vergangener Zeit. Am ersten Abend genießen wir die Gastfreundschaft des Beduinen Buntu, bei Vollmond und Sternschnuppenregen in den Gebirgen seiner Heimat. Alle sitzen und lachen, als ich mich aufmache und durch die Canyons klettere, durch gigantische Wellen aus Sandpapier, rau und trocken unter meinen nackten Füßen, und durch Mondschatten wie schwarze, wehende Seidenschals.

Nie zuvor habe ich Stille gehört, ich wusste nicht, dass sie einen Geschmack hat... wie sandiges Gebäck, das nur mit Fruchtnektar gesüßt ist. Wenn dann der Wind um die Felsen pfeift und haucht, gibt es kein göttlicheres Konzert, und obwohl ich sitze, merke ich genau, wie meine Seele sich hinlegt. Und als sie wieder aufsteht, da stehe auch ich auf und gehe zurück zum Feuer. Ich gehe zu meinem Freund Adel und teile die Erfahrung mit ihm. Du solltest dir die Stille anhören, sage ich ihm. Großartig, sagt er, Hassan! Omar! Kommt ihr mit?

Es gibt die ganze Nacht Handymusik, Gesang und laute Gespräche, keiner von ihnen bemerkt die Sternschnuppen. Sie sagen zwar, Lärm nerve sie, aber die Stille fürchten sie doch wie Kinder die Dunkelheit. Ich verstehe nicht, warum sie sie nicht ertragen, aber die Menschen in Sinai sagen, viele Großstädter wären so. Salam.

(RP)
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