Mönchengladbach Denker Hans Jonas ist hochaktuell

Mönchengladbach · Interview Herta Däubler Gmelin schätzt den verstorbenen Mönchengladbacher Philosophen sehr. Hans Jonas' Denkanstöße haben für sie bleibende Bedeutung. Am 15. November hält die ehemalige Bundesjustizministerin im Haus Erholung darüber einen Vortrag.

 Politikerin äußert sich über Verantwortungs-Ethiker: Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin referiert am kommenden Dienstag im Haus Erholung über "Gespräche mit Hans Jonas – Begegnungen von Philosophie und Politik".

Politikerin äußert sich über Verantwortungs-Ethiker: Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin referiert am kommenden Dienstag im Haus Erholung über "Gespräche mit Hans Jonas – Begegnungen von Philosophie und Politik".

Foto: Markus Schreiber/ KN

Rechtsanwältin, Honorarprofessorin, Bundesjustizministerin a. D. – Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin spricht am Dienstag, 15. November, 20 Uhr, im Haus Erholung über Hans Jonas. Eingeladen hat sie der Wissenschaftliche Verein.

Frau Professor Däubler-Gmelin, Ihr Vortragstitel lautet "Gespräche mit Hans Jonas – Begegnungen von Philosophie und Politik". Was verbinden Sie persönlich mit Hans Jonas?

Däubler-Gmelin Er war nicht nur ein sehr kluger Denker, mit dem zu diskutieren sehr interessant war, sondern auch ein außerordentlich liebenswürdiger alter Herr.

Was hat Sie zu dieser Themenwahl bewogen?

Däubler-Gmelin Hans Jonas hat mit seinen Überlegungen zum "Prinzip Verantwortung" eine ganze Reihe wichtiger Antworten auf Fragen gegeben, die uns seit den 70er-Jahren unter den Nägeln brennen, wie zum Beispiel: Darf Politik Atomanlagen betreiben, deren existenziell gefährliche Auswirkungen weit über 100 000 Jahre kontrolliert werden müssen? Hans Jonas hat vielen von uns wichtige Denkanstöße gegeben, die sich heute ja immer stärker durchsetzen.

Wo begegnen sich denn Politik und Philosophie bei Hans Jonas?

Däubler-Gmelin Ich konnte ihn für große rechtspolitische Kongresse der Friedrich-Ebert-Stiftung hier in Deutschland als Hauptredner und für Vorträge zum Beispiel an der Universität in Tübingen gewinnen. Hans Jonas hat seine philosophischen Überlegungen immer an aktuellen politischen Entscheidungsdilemmata gemessen. Das war sehr spannend. Das Erreichen von Fortschritt und Wissen sei nicht gerechtfertigt, wenn damit die Bedrohung des menschlichen Lebens einhergeht, schreibt er.

Teilen Sie diese Auffassung?

Däubler-Gmelin Ja, er ruft damit dazu auf, naive Fortschrittsgläubigkeit nicht länger zum positiven Leitbild politischer Entscheidungen zu machen, und nur das anzuerkennen, was Menschen nutzt. Nicht aber alles, was man zwar technisch machen kann, was Menschen aber schadet. Das ist eine wichtige Maxime für Politik.

Jedoch hat man den Eindruck, die Gesetzgebung hinkt der technischen Entwicklung, Stichwort Urheberrecht und Datenschutz, oftmals hinterher. Ist hier nicht die Politik gefordert, im Sinne Jonas' Verantwortung zu übernehmen für eine Technisierung der Gesellschaft, statt etwa Jugendliche zu "kriminalisieren"?

Däubler-Gmelin Richtig ist, dass Gesetzgebung und Regelungen häufig den Entwicklungen hinterher hinken. Gerade im Bereich von Umweltschutz und Risikotechnik muss es darum gehen, die Gefahreneinschätzung viel früher und ernsthafter einzubeziehen. Das gelingt längst noch nicht immer. Was nun die Informations- und Kommunikationstechnologien angeht, bin ich schon der Meinung, dass die großartigen, dem Menschen nützenden Seiten gesehen werden müssen, davon gibt es ja sehr viele. Wichtig ist aber auch, die erheblichen Missbrauchsgefahren, im Sinne von Freiheit und Verantwortung, kritisch zu bewerten. Wir lassen Mobbing, Rezepte für Bombenbauer oder extremistische Gewalttaten auch nicht in traditionellen Medien wie Büchern, Zeitungen, Filmen oder Funk und Fernsehen einfach zu.

Ein Zitat von Jonas lautet: "Der schlechten Prognose den Vorrang zu geben gegenüber der guten, ist verantwortungsbewusstes Handeln im Hinblick auf zukünftige Generationen." Was meinen Sie dazu?

Däubler-Gmelin Er hat ja keine Vorlieben für schlechte Prognosen, sondern will, dass der "Worst Case" bei der Risiko-Abschätzung in ungewissen Bereichen stärker in die Überlegung und in die Regelung einbezogen wird. Jonas plädiert, es für verantwortungslos zu halten, dass wir, wie heute so oft üblich, naiv darauf vertrauen, es werde schon alles gutgehen. Das halte ich für richtig – und zumindest nach Tschernobyl und Fukushima werden wohl immer mehr Menschen aufmerksam.

Welche Rolle spielt Jonas heute?

Däubler-Gmelin Ich denke, dass Menschen heute wieder mehr auf Hans Jonas hören.

Christian Hensen führte das Gespräch.

(chen)
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