Mönchengladbach Das Erdbeben auf Haiti: Bilder, die er nie vergisst

Mönchengladbach · Als in Port-au-Prince die Erde bebte, wollte Marc Auguste nach einer Autopanne gerade einen Reifen wechseln. Doch dazu kam es nicht mehr. Immer wieder erschütterten heftige Erdstöße im Januar 2010 die Hauptstadt Haitis. Die Naturgewalt ließ Häuser einstürzen und verdunkelte den Himmel mit einer Staubwolke. Tausende Menschen starben bei der Katastrophe, deren Bilder damals um die Welt gingen.

Bis heute klingt Marc Augustes Stimme bitter, wenn er über die schlimmsten Momente seines Lebens erzählt: "Ich habe einfach zu viel gesehen." Er musste zusehen, wie Häuser am Rande der Hauptstadt von den Hängen abrutschten und einstürzten, wie Kinder unter den Mauern eines Kindergartens begruben wurden. "Kein Mensch konnte auch nur eins retten."

Zwei Tage vor dem Erdbeben, dessen Folgen bis heute nachwirken, war Auguste damals in sein Heimatland gereist. Dort unterrichtete er bereits seit einigen Jahren an der Universität. Noch am Vormittag des schicksalhaften Tages hatte er eine Vorlesung gehalten und jungen Menschen sein Wissen vermittelt.

Wenig später musste er dabei zusehen, wie Hunderte tote Erdbebenopfer auf Lastwagen geworfen wurden. "Ich habe gesehen, wie menschliche Kadaver von Ratten und Hunden angefressen wurden", sagt Marc Auguste. Wie durch ein Wunder überlebte er — und konnte sogar noch anderen Menschen hilfreich beistehen. 40 Erdbeben-Opfer nahm er in seinem Haus auf, versorgte sie mit Wasser und Nahrung.

Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland ließen den damals 72-Jährigen die Bilder nicht los. Über die USA war er evakuiert worden und sollte seine Erlebnisse auf einer Veranstaltung schildern. Doch es ging nicht, die Erlebnisse waren zu frisch. Trotzdem berappelte sich Auguste schnell. Er ist nicht der Typ, der nur herumsitzt, er wollte helfen. "Ich wollte etwas für die Menschen in meiner Heimat tun, die nicht so viel Glück hatten wie ich."

Von Deutschland aus organisierte er Hilfe, sammelte Spenden und schickte sie in einem Container auf die Reise. Ein Jahr und fünf Monate dauerte es, bis die Hilfe endlich ankam. "Es wollten viele Leute daran verdienen", sagt er mit bitterer Miene. Nur durch Geld gelang es, die Freigabe des Containers zu erreichen — "Eine furchtbare Erfahrung."

Erst im September 2011 konnten die Hilfsgüter aus Mönchengladbach verteilt werden. Auch heute sammelt Marc Auguste weiterhin für sein Heimatland. Der Universität besorgt er Bücher, auch eigene hat er ihr überlassen. Als Referent berichtet er von seinen Erlebnissen und stellt für Helfer Kontakte her.
Sein größtes Projekt, bei dem er unter anderem von der Gesamtschule Espenstraße unterstützt wird, ist jedoch eine Schule, die eingestürzt ist und nach dem Erdbeben wieder aufgebaut wurde. "Die Kinder sind noch so traumatisiert, dass sie nicht in das Gebäude zurückwollen", sagt Marc Auguste. Daher werden sie unter einer Art Pavillon unterrichtet. "Sie müssen sich langsam wieder daran gewöhnen."

Doch der Unterricht funktioniert auch im Freien: "Es ist wichtig, die Erziehung zu forcieren." Auch die Eltern müsse man dabei unterstützen. "Viele sind Analphabeten", sagt Auguste, der hofft, mit Spendengeldern eine Lehrerin bezahlen zu können, um Eltern Lesen und Schreiben beizubringen.

Auf Unterstützung großer Hilfsorganisationen hofft er nicht. Er setzt lieber auf die Arbeit vor Ort, auf schnelle, unbürokratische Hilfe. Ende Februar will er wieder nach Haiti fliegen und das Projekt besuchen. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", sagt Marc Auguste und lacht: "Das habe ich in Deutschland gelernt."

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