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Kolumne Denkanstoß Ehrlichkeit: Fehlanzeige

Mönchengladbach · Winzig kleine Ehrlichkeiten in der Pandemie können helfen, die uns letztlich im Kampf gegen das Coronavirus siegen lassen können schreibt unser Autor.

 Unser Autor fordert mehr Ehrlichkeit im Kampf gegen Corona.

Unser Autor fordert mehr Ehrlichkeit im Kampf gegen Corona.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Geht’s Ihnen genauso? Plötzlich entdecken Sie einen Gedanken, der Ihnen sehr bekannt vorkommt. Irgendwo hast du das schon einmal gelesen. So ging es mir – ich habe mich in meinem Bücherregal auf Spurensuche gegeben. Und ich bin fündig geworden. In einem Buch, das wir in der Oberstufe des Gymnasiums zur Lektüre hatten. Dieser Gedanke ist einfach – genial einfach und hilft mir immer mehr, etwas von dem, was gerade in dieser Welt vorgeht besser zu verstehen, ja bisweilen zu durchschauen. Albert Camus, der französische Philosoph und Schriftsteller, hat ihn in seinem Buch „Die Pest“ von 1947 festgehalten. Er lässt den Arzt Dr. Rieux sagen: „Die einzige Art, die Pest zu bekämpfen, ist die Ehrlichkeit.“ Rumms. Das sitzt. Damit ist eigentlich alles gesagt. Da brauchst du keine Experten und keine Talk-Shows mehr, keine Prognosen und keine Ministerpräsidenten-Konferenzen, keine Virologen, kein Gesundheits- und kein Ordnungsamt, keine Politiker…

Dieser Satz beschäftigt mich seit seiner Wiederentdeckung immer mehr. Ich habe ihn auf unsere aktuelle Situation hin angepasst: „Die einzige Art, die Pandemie zu bekämpfen, ist die Ehrlichkeit.“ Und ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass das quälend lange dieser Pandemie-Zeit zu einem guten Stück mit diesem einfachen Satz zu erklären ist. An allen Ecken und Enden fällt mir seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr auf, dass es genau diese Ehrlichkeit ist, an der es in dieser Zeit am meisten mangelt. Unzählige Statistiken gehen wolkenbruchartig auf uns nieder. Und alle Seiten begründen ihre Vorgehensweisen und Maßnahmen mit Statistiken. Das Schlimme: Für fast jede noch so abstruse These findet sich irgendwo ein Zahlenwerk, das passt. Zur Not lässt man bei den Zahlen die genauen Hintergründe weg oder biegt sie sich so zurecht, wie es gerade passt. Ehrlichkeit: Fehlanzeige.

Die Gesundheitsämter können die Infektionsketten bei fortschreitender Pandemie nicht mehr vollständig aufklären. Mit unzähligen Telefonaten schaffen es die Mitarbeitenden einfach nicht. Ein sehr häufiger Grund: „Ich sag doch nicht, mit wem ich da alles zusammen war…“ Ehrlichkeit: Fehlanzeige.

Vollmundige Ankündigungen der politisch Verantwortlichen. Oft nach wenigen Stunden von der Wirklichkeit überholt. Impfstoff, Schnelltests, digitale Hilfsmittel, Schulausstattung… Im Vertrauen auf diese Zusagen kamen dann Ankündigungen – irgendwie wird es schon klappen. Oft genug auch nicht. Doch das sagt man dann nicht – könnte ja Wählerstimmen kosten. Ehrlichkeit: Fehlanzeige.

Bis auf einige kleine Projekte in Heinsberg, Bremen und Berlin gibt es bis heute keine valide wissenschaftliche Untersuchung über die Orte der Infektionen. Das ist eigentlich unfassbar nach einem Jahr Pandemie. Was an Maßnahmen beschlossen wird, beruht also auf wilden Vermutungen und Sätzen wie „Infektionen passieren überwiegend im privaten Raum“. Hier drängt sich in unserem Zusammenhang ein anderer Verdacht auf: Was wir nicht wissen, brauchen wir auch nicht zu ändern. Wenn es diese intensiven Untersuchungen gäbe, könnten sie ja vielleicht offenbaren, dass manche Zustände in unserem Land in Arbeitswelt, in Wohn- und Lebensverhältnissen schlicht untragbar sind. Ehrlichkeit: Fehlanzeige!

Sind Schulen und Kindertagesstätten nun intensive Infektionsorte der Pandemie oder nicht? Auch diese Frage lässt sich bis heute nicht seriös beantworten, weil wir hier die erschreckende Situation der „bestellten Gutachten“ vorfinden. Jeder Gutachter kommt zu einem Schluss, mit dem sein Auftraggeber zufrieden zu stellen ist. Ehrlichkeit: Fehlanzeige.

Und dann das Impfen: Da soll es Impfdosen geben, die angeblich millionenfach überall herumliegen. Aber es gibt keinen, der genaue Zahlen nennen kann, viele, die sich hinter Verträgen und Absprachen und Versprechen verstecken – die aber jeweils der andere gemacht hat... Das blanke Misstrauen auf allen Ebenen – jeder gegen jeden. Ehrlichkeit: Fehlanzeige.

Zeugt das alles nicht von einer hoffnungslosen, flächendeckenden Unehrlichkeit, die uns den Kampf gegen das Virus nicht gewinnen lassen kann?

Ich glaube, dass die dringend notwendige Hoffnung in uns selbst liegt. In der Ehrlichkeit, mit der wir in diesen scheinbar hoffnungslosen Tagen miteinander umgehen. Und da entdecke ich in meinem direkten Umfeld sehr viel: Menschen, die sich mir anvertrauen. Die Schluss machen wollen mit den vielen kleinen Lebenslügen, von denen sie mir erzählen. Die ehrlich auf andere Menschen zugehen, wenn es ihnen schlecht geht. Diese Erfahrungen in der Pandemie machen mir wieder Mut, an das Gute zu glauben, machen mir Hoffnung, dass es noch nicht ganz vorbei sein kann mit der Ehrlichkeit. Und sie machen mir Hoffnung, dass es genau diese winzig kleinen Ehrlichkeiten sind, die uns letztlich im Kampf gegen das Virus siegen lassen können.

Der Autor ist Pfarrer an St. Jakobus Jüchen.

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