Mönchengladbach Büro-Hype aus Holland grassiert auch im Rheinland

Mönchengladbach · Literarischer Sommer: Ronny Tomiska liest aus J. J. Voskuils Roman "Das Büro" im Theater-Café Linol.

Dass ein toter Autor beim Literarischen Sommer (indirekt) vorliest, kommt auch nicht alle Tage vor. Bei J. J. Voskuil, dem 2008 verstorbenen niederländischen Schriftsteller, und seinem 5200-Seiten-Mega-Roman "Het Bureau" machen die Veranstalter der Sommer-Lesereihe in diesem Jahr eine Ausnahme: Weil dieses Buch in unserem Nachbarland mit einer halben Million verkaufter Exemplare zu einer regelrechten "Büro-Manie" verführt hat - vergleichbar dem Harry-Potter-Hype. Weil Menschen massenhaft vor Buchläden campten, um am Morgen die Ersten zu sein, die den neuen Band in Händen hielten. Weil der Übersetzer des Werks, Gerd Busse, plastisch vom Autor erzählen kann. Weil der Schauspieler Ronny Tomiska sehr schön vorlesen kann. Und weil der Text ganz außerordentlichen Charme besitzt. Deshalb leistet sich der Literarische Sommer gar eine Ringvorlesung von "Das Büro" in teilnehmenden Städten zwischen Aachen und Düsseldorf, witzigerweise sogar eine Folge im Büro der Neusser Kulturdezernentin Christiane Zangs (20. August). Für Folge 2 war das Theatercafé Linol erstmals Spielort der Lesereihe.

Der Saal ist voll, doch Ronny Tomiska braucht kein Mikrofon, wenn er dem Text seine Stimme leiht. In den sachlichen Tonfall webt er verschmitzte Blicke, wenn er die Szenen aneinanderreiht, in denen Voskuil den Alltag im volkskundlichen Institut der Niederlande minutiös, distanzlos, "wie mit der Sprache gefilmt" beschreibt. Die Hauptperson, also Voskuils Alter Ego Maarten Koning, erforscht das Vorkommen von Wichtelmännchen und Irrlichtern, in Bäumen aufgehängte Pferde-Nachgeburten und andere Volksbräuche, während die Kollegen um Schreibmaschinen und Dienstreisen feilschen. Die Kollegin intrigiert, der Chef stottert, zu Hause polemisiert die libertinäre Ehefrau gegen Maartens neue Angepasstheit.

Der Beginn einer 30-jährigen Bürokarriere ist Gegenstand des ersten Bandes, dessen Blick hinter die Türen der Amtsstuben an Skurrilität kaum zu toppen ist, weil er ebenso wahr daherkommt. Tomiska flötet und stottert herrlich, das Publikum amüsiert sich zusehends.

Mit der dritten Veranstaltung ist der Literarische Sommer in Mönchengladbach nun schon wieder vorbei. Im nächsten Jahr sollen es wieder vier Lesungen werden - wenn das Geld reicht, sagte Arno van Rijn, Leiter der Stadtteilbibliothek Rheydt, für den Veranstalter. Vielleicht gibt es dann ja auch am Niederrhein eine Büro-Manie.

(ark)
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