Hans-Wilhelm Pesch und Günter Krings Bonn wäre ein Fehler gewesen

Mönchengladbach · Vor 25 Jahren debattierte der Bundestag, ob Berlin Bonn als Hauptstadt ablösen sollte. Der damalige Bundestagsabgeordnete Hans-Wilhelm Pesch und der heutige, Günter Krings, tauschen sich zum Jubiläum über das Regieren an Rhein und Spree aus.

 Günter Krings (li.) und Hans-Wilhelm Pesch trafen sich gestern zum Gespräch.

Günter Krings (li.) und Hans-Wilhelm Pesch trafen sich gestern zum Gespräch.

Foto: Detlef Ilgner

Herr Pesch, vor 25 Jahren hat der Bundestag entschieden, Berlin statt Bonn zur Hauptstadt zu machen. Sie waren damals dagegen. Und heute?

Hans-Wilhelm Pesch Heute muss ich sagen: Es wäre ein Fehler gewesen, den Regierungssitz in Bonn zu belassen. Wir können inzwischen zurecht völlig stolz sein auf unsere Hauptstadt Berlin.

Herr Krings, wofür waren Sie?

Günter Krings Ich war ein glühender Bonn-Befürworter. Ich weiß noch, dass ich die Debatte im Bundestag im Autoradio auf dem Weg von der Uni in Köln nach Mönchengladbach verfolgt habe.

Die eine Sternstunde des Bundestags war.

Pesch Ja, es gab großartige Reden. Wolfgang Schäuble war brillant in seiner Argumentation. Willy Brandt hielt eine leidenschaftliche, wirklich bemerkenswerte Rede. Ich erinnere mich auch an eine sehr humorvolle und liebevolle Rede des früheren Bundespräsident Karl Carstens.

Krings Und ich erinnere mich an skurrile Debattenbeiträge im Vorfeld. Es gab zum Beispiel das Argument, Deutschland dürfe nicht von jenseits des Limes regiert werden.

Warum waren Sie für Bonn - außer aus rheinischer Verbundenheit?

Pesch Bonn hat der jungen Bundesrepublik sehr geholfen, im Ausland wieder Ansehen zu gewinnen. Bonn war einfach, bescheiden, zurückhaltend. Das war ein sehr wichtiges Signal.

Krings Mit einem Regierungssitz wie Bonn hat uns die Welt abgenommen, dass wir keine Großmachtsansprüche stellen würden.

Pesch Das mit der rheinischen Verbundenheit stimmt natürlich auch. Bonn ist den Gladbachern nicht nur in Kilometern viel näher als das wilhelminisch-protestantische Berlin. KRINGS Allerdings gab es auch ein starkes Argument für Berlin: Die Union hat das Ziel der Wiedervereinigung mit Berlin als Hauptstadt immer als Ziel benannt.

Berlin als Kopfsache und Bonn als Herzensangelegenheit?

Krings Da ist für einen Rheinländer sicher was dran. Allerdings muss ich sagen, dass es schon ein ganz besonderes Gefühl war, das erste Mal vor dem Portal des Reichstags zu stehen und zu wissen, dass ich nun meine Heimatstadt dort als Bundestagsabgeordneter vertrete.

Pesch Mein größter Gänsehaut-Moment war auch in Berlin. Die Feier zur Deutschen Einheit vor dem Reichstag. Da bekomme ich noch heute Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Stand Bonn auch für eine bestimmte Art des Politikmachens?

Pesch Auf jeden Fall. Dazu fällt mir eine Geschichte ein. In Bonn duzten sich sehr viele, inklusive der Saalordner. Da fragte dann Helmut Schmidt einen von ihnen im Vorbeigehen: "Wie hat dir meine Rede gefallen?" Und der antwortete: "Ganz gut, Helmut." Das war Bonn.

Wobei die Politiker in der Metropole Berlin doch ein kleines, gemütliches Regierungsdorf aufgemacht haben, oder?

Pesch Gemütlich? Nein! Das Paul-Löbe-Haus sieht für mich wie ein Raumschiff aus, das in die Stadt gefallen ist. Das ist eine ganz andere Atmosphäre als in Bonn. Die Abgeordneten kommen mir in Berlin mehr wie Teil eines großen Apparates vor. Das ist viel unpersönlicher.

Krings Aber tatsächlich ist alles dicht beisammen. Ich erinnere mich an eine Runde mit Abgeordneten kurz vor meiner ersten Wahl, wo dann Peter Hintze zu anderen sagte: "Die waren heute Gas-Ablesen bei uns". Da wurde mir klar: Da wohnten auch noch mehrere Kollegen zusammen in einem Haus. Mir war von vornherein klar, wohnen möchte ich im Regierungsviertel nicht.

Sie hatten - wie viele andere - Befürchtungen, wenn die Regierung nach Berlin wechseln würde. Ist etwas davon eingetreten?

Krings Tatsächlich haben sich die Gewichte etwas verschoben. Das Rheinland liegt jetzt gefühlt mehr am Rand der Republik als vorher.

Pesch Die Sorgen um Bonn haben sich nicht bewahrheitet. Wegen der UNO, aber auch wegen großer Ansiedlungen wie der Telekom geht es Bonn hervorragend. Mal abgesehen davon haben die Bonner eine Milliarden-Entschädigung bekommen.

Lange war die Regierung ja teilweise in Berlin und teilweise in Bonn....

Pesch ... eine Konzessionsentscheidung, aber nicht wirklich klug.

Wie oft sind Sie als Staatssekretär heute noch in Bonn?

Krings Fast nur noch privat. Als ich Mitglied des Kuratoriums des Hauses der Geschichte war, gab es zwei Sitzungen im Jahr. Ich bin ab und zu im ehemaligen Regierungsviertel, um meine Cousine zu besuchen. Die kommt aus Guatemala, arbeitet bei der UNO.

Sie sind nicht wirklich traurig, dass Sie als Abgeordneter Berlin nicht mehr erleben mussten?

Pesch Überhaupt nicht. Denn das war für viele Kollegen eine schwierige Zeit. Damit war ja für viele ein Umzug verbunden.

Warum gibt es so wenige Debatten-Sternstunden wie die beim Ringen um den Regierungssitz?

Pesch Weil das ein Thema war, das alle bewegte und wo niemand wusste, wie es ausgehen würde. Der Fraktionszwang war aufgehoben. In jeder Fraktion gab es Bonn- und Berlin-Anhänger. Und am Ende entschieden gerade mal 16 Stimmen.

Spricht das dafür, Abstimmungen öfter freizugeben?

Krings Bei ethisch geprägten Fragen passiert das ja auch. Aber noch wichtiger als gute Debatten ist gute und stabile Politik. Und nur verlässliche Verabredungen von Parteien zum Beispiel in Regierungsbündnissen machen die Politik stabil.

RALF JÜNGERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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