Serie 100 Jahre Erster Weltkrieg (5) Bewegende Kriegszeugnisse auf Papier

Mönchengladbach · Friedrich Wilhelm Beckers aus Rheydt machte den Krieg an der Westfront von 1914 bis 1918 mit. Er schrieb regelmäßig Feldpostkarten nach Hause, von denen seinem Urenkel mehrere Dutzend erhalten geblieben sind.

 Eine der zahlreichen Feldpostkarten, die erhalten sind.

Eine der zahlreichen Feldpostkarten, die erhalten sind.

Foto: Baum, Andreas (abau)

"Soeben kommt die Nachricht, daß Hindenburg 49 000 Russen, 165 Geschütze und 70 Maschinengewehre gefangen und erbeutet hat. Hurra!!! Noch einen Kognak!" Diese Zeilen schreibt Friedrich Wilhelm Beckers am 27. November 1914 auf die Vorderseite der Feldpostkarte, die er an seine Familie in der Oberheydener Straße in Rheydt schickt. Auf der Karte zu sehen ist das "Hotel de la Paix" (Friedenshotel) in der französischen Kleinstadt Jeumont, wo Beckers mit seiner Einheit längere Zeit stationiert war. Der Krieg war gerade einige Monate im Gange und die Stimmung offensichtlich noch sehr optimistisch.

Serie 100 Jahre Erster Weltkrieg (5): Bewegende Kriegszeugnisse auf Papier
Foto: Baum, Andreas (abau)

Friedrich Wilhelm Beckers wurde 1870 in Rheydt geboren und rückte wohl im Oktober 1914 ein. Er war ein eifriger Schreiber und schickte seiner Familie regelmäßig Feldpostkarten. Oft standen nur Grüße darauf, aber seine Frau und Kinder wussten so, dass er noch am Leben war. Es finden sich aber auch viele, denen man anmerkt, dass er im Geist zu Hause ist. Er schickt Glück- und Segenswünsche zur Konfirmation seines Sohnes Fritz am 16. März 1915. Er schreibt gleich zwei Karten, wohl um sicherzugehen, dass eine rechtzeitig ankommt. Er sendet 1917 aus dem Lazarett Neujahrsgrüße und klagt, dass er seit drei Wochen nichts mehr von zu Hause gehört habe, noch nicht einmal Weihnachtsgrüße. Die lägen wohl bei der Truppe.

Er schickt praktisch aus jedem Ort, in den er kommt, Karten. Im April 1915 schreibt er, dass sie an einen Ort 90 Kilometer Luftlinie von Reims verlegt würden. "1870 hat mein Vater auch hier gelegen, teilt ihm das mal mit", endet diese Karte. Dann kommt ein Ereignis, das ihn sehr bewegt haben muss: Er schickt eine ganze Serie von Bildern des zerstörten Ortes Rethel im Norden Frankreichs, 13 an der Zahl. "Hebt sie auf", fordert er seine Familie auf. "Ich will später erzählen." Was er später zu erzählen hatte, ist leider nicht überliefert.

Beckers macht den gesamten Krieg mit, aber die Begeisterung schwindet. Am 7. Februar 1916 schreibt er: "Der Krieg will nicht enden." Er wird 1917 verletzt, verbringt einige Wochen im Feldlazarett und geht im Januar 1918 zurück zur Truppe. Er bekommt das Eiserne Kreuz und das Verwundetenabzeichen und stirbt 1941, als bereits der nächste Krieg wütet. "Ich habe ihn leider nicht kennengelernt", bedauert sein Urenkel Norbert Köhnen, der gemeinsam mit seiner Mutter und Großmutter schon in den 1970er Jahren die in deutscher Schrift verfassten Feldpostkarten übertragen hat. Seinen Großvater Emil Otten dagegen kannte er. Otten, geboren 1897 und Sportbegeisterten als Westdeutscher Meister im Reckturnen bekannt, gehörte zu der unglücklichen Generation, die beide Weltkriege mitmachte. Gesprochen hat auch er nicht darüber. "Er wollte einem Kind sicher so etwas Schreckliches nicht zumuten", meint Köhnen. "Irgendwann habe ich ihn dann auch nicht mehr gefragt."

Einmal aber bricht es aus seinem Großvater heraus. Die Familie hat zu Beginn der 1970er Jahre Urlaub im Schwarzwald gemacht und einen Tagesausflug an den Vierwaldstättersee in der Schweiz unternommen. Da steht Emil Otten am Ufer des Sees und weint. "Das ist das erste Mal, dass ich ohne Krieg im Ausland bin", sagt er zu seinem Enkel.

(arie)
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