Viehstraße Besuch in der Viehstraße

Viehstraße · Wo Kühe Vorfahrt haben: In der 25-Seelen-Ortschaft Viehstraße fühlen sich die Anwohner pudelwohl. Sie leben mit Kühen, Hühnern und Gänsen auf einem Fleckchen Natur, das einem Gemälde entnommen sein könnte. Nur samstags bricht Besuch in diese Idylle: Fußball-Fans auf dem Weg zum Borussia-Stadion.

 Zufriedene Bewohner von Viehstraße: Maria Büttgenk, Hedwig Zester, Wilma Eckers, Friedhelm Schroyen und Angela Metz (von links).

Zufriedene Bewohner von Viehstraße: Maria Büttgenk, Hedwig Zester, Wilma Eckers, Friedhelm Schroyen und Angela Metz (von links).

Foto: Markus Rick

Früh morgens schreit der Hahn. Wenig später krabbeln die Eichhörnchen die Bäume hoch. Gegen Mittag legen sich die Kühe zum Wiederkäuen auf die Weide, während die Pferde des Reiterhofes ausgeritten werden. Gegen Abend schreien die Gänse, der Hund antwortet kurz mit einem Bellen — wenn Wilma Eckers das alles mitbekommt, kann sie sich zufrieden schlafen legen: alles in Ordnung in Viehstraße. Selten traf ein Ortsname so zu, wie in dieser Honschaft zwischen Rheindahlen und Rheydt. 30 Menschen, aber dreimal so viele Tiere leben in einer Landschaft, die aussieht, als hätte sie van Gogh in die Gegend gemalt. Ländlicher geht's nimmer.

 Die Fachwerkhäuser sind der Stolz der Honschaft.

Die Fachwerkhäuser sind der Stolz der Honschaft.

Foto: Markus Rick

Hier gelten noch eigene Regeln: Wenn Bauer Vitus Büttgen zum Beispiel seine Kühe auf die Weide treibt, dann haben Autos gefälligst zu warten. Genauso wie seit hunderten von Jahren. Viehstraße ist eben ein Kuhdamm, auf seine Art. "Trink Milch von Vitus' Kühen und du siehst den Maibaum blühen", heißt es in Viehstraße.

Eine Idylle, die kaum jemand gerne verlässt. "Letzte Woche ist eine Frau hier weg gezogen. Die hat bitterlich geweint", sagt Wilma Eckers, deren Familie seit Generationen das älteste Haus in Viehstraße bewohnt, ein etwa 300 Jahre alter Fachwerkbau. Wobei Viehstraße noch wesentlich älter ist. Das Buch "Rheindahlen — Stadt und Land" von 1954 berichtet vom Biesenhof ("Beysinhof"), der schon 1330 in einer Karte aufgezeichnet gewesen sein soll. Vom Lehensgut des Kölner Domkapitel ist darin die Rede. Diesen Hof gibt es noch heute, landwirtschaftlich betrieben von Vitus und Maria Büttgen. Das Jahr 1330 bedeutet: Viestraße — das urige Örtchen — ist knapp älter als das große Rheindahlen nebenan.

Acht Häuser, eine vor fünf Jahren frisch asphaltierte Straße, die Stromleitungen laufen überirdisch, Straßenlaternen sind aus Holz, einen Abwasserkanal gibt es nicht. "Keinen Schützenverein, keine Bruderschaft. Viehstraße sind nur wir", sagt Wilma Eckers und zeigt in die Runde. Darin sitzen Maria Büttgen, Angela Metz, sie selbst, Friedhelm Schroyen, Sylvia Schroyen und Hedwig Zester an einem Tisch in einem umgebauten Kaninchenstall und erzählen sich Geschichten aus der Viehstraße. In breitestem Platt, versteht sich.

Wie bei der letzten Goldhochzeit im Hause Eckers vor mehr als 20 Jahren, als die ganze Straße auf mehr als 100 Metern gekränzt wurde, obwohl das bei dem Naturgrün in Viehstraße eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. "Da kommt kein König mit. Einmalig", sagt Wilma Eckers. Nur haben das nicht besonders viele Leute gesehen. Viehstraße war eben zu versteckt. Seitdem das Dorf aber als Bodendenkmal gilt, haben Ausflügler die Gegend für sich entdeckt.

Und samstags gibt es noch viel mehr Besuch: Fußball-Fans auf dem Weg ins Stadion. Als Borussia im Herbst 2008 sein Heimspiel gegen Köln hatte und es zu Ausschreitungen in Stadionnähe kam, ließen die Shuttlebusse aus Rheydt die Fußballfans etwas weiter weg vom Stadion aussteigen. An der Viehstraße nämlich. Hunderte Fans schritten die Straße entlang zum Stadion und besangen den FC. Wilma Eckers schwärmt: "Da war was los!" Kein Wunder: Geißbockfans in der Viehstraße.

(RP)
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