Serie Anders Wohnen in Mönchengladbach (1) Bauhaus im Gründerzeitviertel

Mönchengladbach · Ob Bauernhaus, alte Schule oder Denkmal – es gibt viele Arten, in Mönchengladbach anders zu wohnen. Das ist Grund genug für eine neue Serie. Den Auftakt macht die „Villa Magnolia“: Thomas Volbach und Marius Müller haben das Haus aus dem Baujahr 1934 aufwändig schlicht renoviert.

 Thomas Volbach (links) und Marius Müller renovierten das Haus an der Sittardstraße mit Bedacht und Leidenschaft für die charakteristische Architektur.

Thomas Volbach (links) und Marius Müller renovierten das Haus an der Sittardstraße mit Bedacht und Leidenschaft für die charakteristische Architektur.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)/Ilgner,Detlef (ilg)

Der Bug eines Schiffes. Nein, ein winziger Austritt in der zweiten Etage. Mit Blick auf die Kreuzung. Aber tatsächlich, das Backsteingebäude ragt wie ein steinernes Schiff in die Sichtachse. Der Erker unter dem Mini-Balkon ist rund wie ein Rumpf. „Bauherr und Architekt haben sich an die Streamline-Moderne angelehnt, die ihre Ursprünge unter anderem im Äußeren damaliger Kreuzfahrtschiffe hat“, erklärt Thomas Volbach, einer der beiden Hausbesitzer. So gibt es im Untergeschoss tatsächlich auch Bullaugenfenster.

Baujahr ist 1934. „Ein Jahr, nachdem das Bauhaus durch politischen Druck geschlossen wurde“, ergänzt sein Partner Marius Müller, „das wird den Nazis sicher nicht gepasst haben, so prominent wie das Haus aus seiner Umgebung herausragt.“ Im Garten steht eine riesige Magnolie, die dem Haus heute den Namen gibt, „Villa Magnolia“. Die Rückfront des Hauses weist in nahezu perfekter Manier die Dessauer Schule unter Walter Gropius nach. Als seien Kuben versetzt aufeinander gestellt worden. Die klaren Linien finden ihre Entsprechung im Inneren des architektonischen Juwels mitten im angesagten Gründerzeitviertel.

Die beiden Hausherren, beide 32 und Kommunikationsdesigner, haben sich intensiv mit der Geschichte ihres Hauses beschäftigt. Und tun dies immer noch. Gebaut hat die heutige „Villa Magnolia“ demnach der Gladbacher Architekt Hubert Rademacher, und zwar für den Textilfabrikanten Michael Irskens. Er wohnte damals in einem hochmodernen Haus. „Anders als in den Gründerzeithäusern, gab es bereits eine Zentralheizung. Und die Toilette war nicht auf halber Treppe, sondern Teil eines komplett ausgestatteten Badezimmers. Außerdem wurde eine Garage integriert. Zu einer Zeit, in der nur jeder 50. ein Auto hatte“, sagt Müller.

 Die „Villa Magnolia“ von außen: Runde Fenster, abgerundet auch die Seitenfassade, die wie ein Schiffsbug herausragt.

Die „Villa Magnolia“ von außen: Runde Fenster, abgerundet auch die Seitenfassade, die wie ein Schiffsbug herausragt.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Ende 2016 haben sie das Haus gekauft, auch, weil sie der freie Blick durch das großzügige Treppenhaus so fasziniert hat. Fast drei Jahre war es nach dem Tod von  Marianne und Heinz Dohmen (ehemals SPD-MdL) unbewohnt gewesen. Im Februar 2017 haben die neuen Besitzer mit der Sanierung begonnen. Wie Archäologen haben sie das Wesen ihrer neuen Heimat freigelegt. „Es ging damals schnell“, so Volbach. „Die Anzeige war kaum im Netz, da gab es schon lange Listen für die Besichtigung. Jeder wollte und will im Gründerzeitviertel kaufen.“ Vier Monate haben die Arbeiten gedauert, begleitet von den „Freimeistern“: „Sie und die Handwerker haben verstanden, was wir wollten: nur das Nötigste tun, um möglichst viel vom Original zu erhalten.“

Das Haus hat ihnen dabei geholfen: Der Putz war nach Abnahme der Tapeten in einem guten Zustand, Türen und Holzböden waren weitgehend erhalten. „Die Türgriffe sind noch Originale vom Bauhaus. Die schwarzen Steckdosen und Lichtschalter aus Bakelit sehen alt aus, sind aber neu.“ Müller und Volbach können sich nicht nur an Details erfreuen, sie spüren sie mit Leidenschaft auf, um sie zu bewahren. Denn die Gestalter wissen, es kommt auf die Feinheiten und kleinen Dinge an, um ein Bild komplett zu machen: „Wir haben daher die Dosen und Schalter wieder in der alten Höhe angebracht. Heute werden sie deutlich tiefer gesetzt.“

Das Haus ist perfekt geplant und gebaut worden, werden die beiden nicht müde zu betonen: „Es hat eine bewohnbare Größe, die Räume sind überschaubar. Durch die Fenster zum Osten und Süden hin haben wir den ganzen Tag Licht. Auch ein Leitmotiv der Moderne.“ Über die Jahre beherbergte das Haus  auch eine Zahnarztpraxis.

Die Aufteilung, die Gestaltung der Räume, und die Einrichtung, ergänzen sic perfekt: Die Küche kommt schlicht daher. Nichts Überflüssiges lenkt vom Eigentlichen ab. Auf einen Fliesenspiegel wurde zugunsten eines Spiegels aus Lackfarbe verzichtet, der halbhoch reicht. Keine Hängeschränke, der Kühlschrank steht versteckt in einer Abstellkammer. Die Decke ist hellblau gestrichen, so wie sie nach gefundenen Farbresten ursprünglich war. Der Boden ist aus rotbraunem Linoleum.

Der stimmige Eindruck setzt sich in allen anderen Räumen fort. Schlafzimmer, Gästezimmer oder Bäder. Die klare Sprache der Formen wird unterstrichen von den Möbeln. „Zum Teil haben wir sie vom Vorbesitzer übernommen“, sagt Volbach. Meist 1960er-Jahre-Design, „diese Formen zitieren die Dreißiger und passen daher gut“. Sie haben eine Mischung aus den Fabrikantenvillen Mies van der Rohes und den Siedlungsbauten von Bruno Taut hinbekommen wollen, „den gehobenen Mittelstand und die Arbeitereinflüsse“. Dass ihnen dies gelungen ist, verwundert umso mehr, da es von ihrer Villa keine alten Fotos oder Bauzeichnungen gibt. Sie recherchieren sehr intensiv, sprechen mit Hinterbliebenen und hoffen darauf, „dass wir noch fündig werden. Vielleicht meldet sich noch mal jemand bei uns“.

Müller und Volbach haben noch eine Menge vor. Sie haben nicht nur das Geländer ihres Balkons originalgetreu rekonstruieren lassen, nach Vorlage des eingangs erwähnten „Bugs“. Sie wollen auch für die „moderne“ Regenrinne am Erker eine stimmige Lösung finden. Und: „Wir gründen den Verein „Mönchengladbacher Moderne“ – also moderne Architektur in lokaler Ausprägung. Wir wollen ein Bewusstsein für andere Bauten aus der Zeit schaffen, von denen es viele in Mönchengladbach gibt, die aber noch nicht unter Denkmalschutz stehen und so eventuell geschützt werden können.“ Die Denkmalbehörde, wissen sie, freut sich über ihr Engagement.

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