Mönchengladbach Auf Tuchfühlung mit van Laack in Vietnam

Mönchengladbach · In seinem Werk in Hanoi zeigt der Hemdenhersteller, dass Textilproduktion auch unter menschenwürdigen Bedingungen möglich ist.

So produziert das Unternehmen Van Laack in Hanoi
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So produziert das Unternehmen Van Laack in Hanoi

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Der Moment der Wahrheit ist gekommen, als die anderen deutschen Journalisten eine Näherin interviewen gehen, die in der Gewerkschaft ist — alleine, in einem separaten Raum, ohne van-Laack-Entourage. Kurz zucke ich, doch dann widerstehe ich dem journalistischen Impuls, es ihnen gleichzutun — und fixiere stattdessen die Gesichter von Christian von Daniels, Rolf Getschmann und Kim Thu Huong.

Der geschäftsführende Gesellschafter des Gladbacher Hemdenherstellers, der frühere Chef der Asien-Niederlassung sowie dessen Nachfolgerin und Ehefrau wirken tiefenentspannt. "Kann die Frau überhaupt Englisch?", fragt von Daniels lediglich und schlendert durch die Textilfabrik in Hanoi, in der sein Unternehmen die Hälfte seiner Jahresproduktion stemmt. Irgendjemand nickt. Aber kein nervöses Zucken, kein Zeichen von Unsicherheit ist auf den Gesichtern zu sehen. Spätestens da weiß ich: Leichen im van-Laack-Keller wird die Gewerkschafterin wohl kaum präsentieren. Und richtig: Später höre ich, dass sie eigentlich alles ganz in Ordnung findet in der Fabrik, deren Grundsteinlegung sogar der damalige Kanzler Gerhard Schröder beiwohnte.

"Ganz in Ordnung" ist eine Untertreibung — denn wenn einstürzende Textilbauten in Bangladesch mit mehr als 1000 Toten das eine Extrem der Skala darstellen, dann liegt diese lichtdurchflutete, klimatisierte Fabrik mit eigener Kindertagesstätte am ganz anderen. 478 Mitarbeiter sind in der Produktion beschäftigt, insgesamt 504. Seitdem das Gebäude 2006 eröffnet wurde — zuvor war van Laack 13 Jahre lang in einem zehn Kilometer entfernten Werk beheimatet — wurde personell stetig aufgestockt. Der Boden aller 7200 Quadratmeter Produktionsfläche ist aus Marmor, so quietschsauber, man könnte davon essen. Das Treiben wirkt geschäftig, aber nicht gehetzt, die Arbeiter, die sechs Tage die Woche je acht Stunden arbeiten, scheinen zufrieden. "Wir haben hier den Luxus, nicht auf Akkordarbeit angewiesen zu sein", sagt von Daniels. "Henry Fords Fließbandsystem ist nicht mehr zeitgemäß."

Alles gut, alles schön also in der Fabrik, die von außen fast wie eine Südstaaten-Ranch anmutet und die 1993 als Joint Venture mit der Regierung startete, bevor das Unternehmen zehn Jahre später die fehlenden 30 Prozent aufkaufte? Oder gucke ich nur nicht richtig hin, weil van Laack mir Flug und Unterkunft zahlt? Doch, ich gucke umso genauer hin, und darum fällt mir auf, dass die zumeist weiblichen Angestellten in der Mittagspause beim Anstehen in der Kantine giggeln und scherzen wie in einer US-Highschool. Und: Mir fällt wohltuend ins Auge, dass von Daniels und seine Mannschaft sich nicht als Gutmenschen gerieren. Die Arbeitsbedingungen hoch über dem landesüblichen Standard anzulegen, so dass man sich bei der Suche nach neuen Kräften auf Mundpropaganda verlassen kann, ist eine Geschäftspraktik. Punkt.

Und die rentiert sich: Die Fluktuation ist gering, die Angestellten sind seit durchschnittlich sieben Jahren bei van Laack. Es rentiert sich, den Weiterbildungswillen der Mitarbeiter dadurch zu fördern, dass neben Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Effizienz und Fehlzeiten auch die Anzahl der beherrschten Produktionsschritte ein Kriterium für Bonuszahlungen ist. Es rentiert sich, Müttern die Möglichkeit zu geben, ihre Kinder in der Kita am anderen Ende des Flurs abzugeben, anstatt ständig neue Leute anzulernen. Und am Ende des Tages rentiert es sich ganz einfach, Hemden in Vietnam zu produzieren, weil das dort extrem viel billiger ist als in Mönchengladbach, wo hauptsächlich noch Verwaltung und Design angesiedelt sind. Aber das kann man eben so oder so machen. Während der Mindestlohn in Hanoi bei 112 (ab Januar 126) Dollar liegt, zahlt van Laack zwischen 130 und 220.

Und den Ausbildungsberuf des "Industrial Fashion Tailor" (Industrieller Modeschneider) hat das Unternehmen gemeinsam in einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP) mit einer Universität selbst kreiert. Natürlich wird bei der Fabrikbesichtigung Hoan Nguyen ins Bild gezerrt, eine fröhliche Mitarbeiterin, die fast von Anfang an dabei ist und damals als erste Angestellte schwanger wurde, heute ist ihr Sohn 19. Natürlich nimmt von Daniels in der angedockten Kita ein strahlendes Kind auf den Arm, natürlich fallen Phrasen wie "Die Mitarbeiter sind unser wichtigstes Asset". Das alles gehört zum PR-Geschäft. Was dazu nicht unbedingt zählt, ist entwaffnende Ehrlichkeit — aber auch die gibt es hier. So nennt von Daniels die Produktion in Fernost eine Art "modernen Kolonialismus, nur auf freiwilliger Basis, ohne Ausbeutung". Und das wiederum rentiert sich — sofern der Textilfabrikant will, nicht nur für ihn selber, sondern für alle Beteiligten.

Van Laack will, das wird deutlich. Und das wird vielerorts wohlwollend registriert. Peter Kompalla von der Deutschen Auslandshandelskammer in Hanoi lobt die Produktionsbedingungen und Geschäftspraktiken von van Laack Asia ausdrücklich — neben wenigen anderen Firmen wie Bosch und dem Nadelhersteller Groz-Beckert.

800 000 Teile produziert van Laack pro Jahr in Hanoi, darunter etliche 100 000, die an die Lufthansa gehen — Pyjamas für die Erste Klasse. In etwa noch einmal so viele entstehen in der zweiten Produktionsstätte in Tunesien. Die fertig gepackten Pakete gehen nach Australien, wo es durch Zukäufe binnen vier Jahren gelang, den eigenen Marktanteil auf 40 Prozent zu schrauben, nach New York, wo auf der Lexington Avenue kürzlich bereits der zweite van-Laack-Laden geöffnet hat. Sie gehen an russische Edelkaufhäuser, sie gehen nach Deutschland — und sie bleiben in Vietnam. Denn wer das Land noch in der Dritten Welt verortet, ist schief gewickelt. In Hanoi hat das Unternehmen kürzlich seinen ersten eigenen Laden aufgemacht — auch der Vietnamese trägt heute van Laack. Einkäufer der Fünf-Sterne-Hotels wolle man jetzt gezielt ansprechen, sagt von Daniels, der das Unternehmen 2002 kaufte.

Seitdem hat er es gehörig umgekrempelt. Vor fünf Jahren hatte van Laack 61 Monobrand-, Franchise- und Partner-Stores, heute sind es 137, "von A wie Aachen bis Z wie Zagreb". Pro Jahr kommen rund zehn Neueröffnungen hinzu. Selbst in Krisenzeiten stieg der Umsatz seit 2008/2009 von 57,7 Millionen kontinuierlich auf 81 Millionen Euro 2013/2014 (Soll). Die Ebit-Marge liegt konstant bei zehn bis zwölf Prozent.

Van Laack ist Weltmarktführer im Bereich Maßhemden im Luxussegment sowie Marktführer in den Kernmärkten Zentraleuropa und Australien im Bereich Premiumshirt (ab 100 Euro aufwärts). Man verfolge ein vertikales Konzept, indem man möglichst viele Abschnitte der Lieferkette selbst kontrolliere und dadurch unabhängiger von Kaufhäusern werde, sagt von Daniels. Und er sagt auch dies: "Ich würde jederzeit wieder nach Vietnam gehen." Der Erfolg gibt ihm recht. Und das fröhliche Kichern der Arbeiter in der Kantine.

(RP)
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