Mönchengladbach Auf flotter Sohle durch die Geschichte

Mönchengladbach · Mit dem Stumm-Schauspiel "Das Ballhaus" beweist das Schauspiel-Ensemble, dass es auch ohne Worte Geschichten gut erzählen kann. Tanzend geht es durch acht Jahrzehnte deutscher Geschichte. Daraus wird auch ein buntes Kostümfest.

 Das Theater als Tanzsaal im Ballhaus. Einladend hat Johanna Maria Burkhart die Bühne des Theaters in Rheydt hergerichtet. So groß wie im Tanzstück "Das Ballhaus" hat man die Spielfläche sehr selten erlebt. Die gesamte Portalbreite wird genutzt.

Das Theater als Tanzsaal im Ballhaus. Einladend hat Johanna Maria Burkhart die Bühne des Theaters in Rheydt hergerichtet. So groß wie im Tanzstück "Das Ballhaus" hat man die Spielfläche sehr selten erlebt. Die gesamte Portalbreite wird genutzt.

Foto: © Matthias Stutte

Schön, mal wieder ein repräsentatives, großzügiges, ästhetisch ansprechendes Bühnenbild im Theater zu sehen. Zum ersten Aha-Erlebnis des Abends verhilft Ausstatterin Johanna Maria Burkhart mit ihrem die gesamte Portalbreite ausnutzenden Art-Déco-Ballsaal. Der wirkt auch menschenleer einnehmend, mit seinen verglasten Türornamenten und den Herzmuschel-Leuchten an der Rampe.

Die beiden Bar-Tresen links verströmen indes eher das Ambiente "Eiche-rustikal" der 1960er. Und dann schreiten sie nacheinander die Treppenstufen herab: acht raffiniert kostümierte Damen, jede unterstreicht ihre Individualität. Kurz danach erscheinen acht Herren - einer sogar mit Lagerfeld-Zopf, der nicht so ganz in die Zeit um 1920 in Berlin zu passen scheint. Und der Tanz beginnt.

Was zu Boléro-Klängen frisch und fröhlich anhebt und sich danach in wiegenden Tango-Figuren fortspinnt, bleibt nicht immer unbeschwert. Denn wenn Künstler sich verabreden, zweieinhalb Stunden lang ihren Mund weitgehend geschlossen zu halten, müssen sie mit Körpersprache reden. Und wenn sie deutsche Geschichte in diesem Medium nacherzählen wollen, dürfen düstere Kapitel nicht ausgespart bleiben. In Steffen Menschings Tanz-Schauspiel "Das Ballhaus" tanzen sie deutsche Geschichte im Zeitraffer - 80 Jahre von etwa 1920 bis zum Jahrtausendausklang.

Was auffällt: Das Inszenierungsteam mit Frank Matthus (Regie), Burkhart (Bühne), Yvonne Forster (Kostüme) und Ralph Frey (Choreografie) findet viel Anschauungsmaterial in der Weimarer Republik: vom Tango über den ruppigen Schieber, den wirbelnden Charleston bis hin zum lasziven Shimmy und dem biederen Foxtrott.

Und da verzaubert das hervorragend trainierte Schauspiel-Ensemble samt vier Gästen das Publikum über die Maßen. Dass die so famos tanzen können, haben viele bis dahin nicht gewusst. Und eben nicht nur die jungen Kräfte wie die temperamentvollen Henrike Hahn und Helen Wendt, der schillernde Cornelius Gebert (der auch mal einen SS-Mann mimen muss), sondern auch der smart-elegante Adrian Linke.

Statt die Namen aller Mitwirkenden aufzuzählen, ist eher festzuhalten: Die Akteure verkörpern auf durchweg faszinierende, eindrucksvolle Weise menschliche Typen und Charaktere: Da begegnen der zittrige Witwer (Christopher Wintgens), die romantische Blondine mit den ondulierten Haaren (Alla Bondarevskaya), die tanzwütige Petticoat-Trägerin (Kathrin Scharfhausen), das Muttersöhnchen (Ronny Tomiska).

Besondere Leistungen erfordern dann doch vokalen Einsatz: Esther Keil schmettert den Ernst-Kreuder-Hit "Ich brauche keine Millionen" - dabei von dem Trio Jochen Kilian (Klavier), Bernd Kullack (Geige) und Bernd Zinsius (Kontrabass) begleitet. Joachim Henschke, der tänzerisch auf Sparflamme schalten darf, reißt mit den Elvis-Hits "Tutti Frutti" und "Blue Suede Shoes" ebenso mit wie die Kollegen, die dazu gekonnt abzappeln.

In den Jahrzehnten ab 1960 tritt der reine Tanz auffallend zurück gegenüber stummem Spiel. Sonst hätte sich das Konzept wohl allzu früh verausgabt. Hier stimmt jedoch alles, bis zum futuristischen Ende.

(RP)
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