Mönchengladbach Auf Besuch im verlorenen Paradies
Mönchengladbach · Der Künstler Kai Welf Hoyme begab sich auf "Spurensuche" an einem Ort seiner Jugend. Nur wenige kamen jedoch mit.
Rehe, Füchse, Jäger, Spaziergänger – auf alle Eventualitäten hatte die Gruppe heranwachsender Knaben sich vorbereitet: Ein zehn Meter langer Unterstand aus frisch geschlagenen Birkenästen und -zweigen und Resten von Kunstrasen-Teppichboden bot Deckung vor unerwünschten Blicken von oben. Mit Moosflicken getarnt und gegen Wind und Wetter geschützt mag sich dieses "Langhaus" organisch an die verwilderte Umgebung der ehemaligen Sandgrube angepasst haben.
Das war einmal. Heute überwuchern Brennnesseln, Brombeerranken und Holunderbüsche das nur über einen holprigen Trampelpfad erreichbare Biotop unweit der ehemaligen Niederrheinkaserne an der Mönchengladbacher Stadtgrenze. Die A 52 brüllt im Wettstreit mit der Kaldenkirchener Straße, die Auffahrt ist keine 100 Meter entfernt. "Es war ein Ruheort für uns, den Lärm haben wir komplett ausgeblendet", erzählt Kai Welf Hoyme im Rückblick auf eine 20 Jahre zurückliegende Zeit. Der Neue im Kreis der städtischen Künstlerförderung c/o ist mit einem kleinen Trupp Neugieriger auf "Spurensuche". Es ist Parc/ours – mit 42 Künstlerinnen und Künstlern, mindestens. Denn mehrere haben Ausstellungsgäste eingeladen. Das Wetter hält.
Bizarr ist diese Aktion des Video- und Performance-Künstlers Hoyme schon. Indem er mit seinen am Samstag fünf Begleitern (und Hund) vom Parkplatz am Hauptfriedhof losstapft, aktualisiert er die Erinnerung an seine Adoleszenz, in der er Teil der "Schluchtmänner" war. Vier bis zehn Jungs, die immerhin zwischen dem zwölften und 16. Lebensjahr aus ihrem gutbürgerlichen Zuhause am Bunten Garten bei Wind und Wetter in eine Welt der Natur und des Abenteuers ausbrachen. In der von allen Seiten durch steile Abhänge begrenzten Grube führten sie einerseits jungenhafte Kriegsspiele – mit Tarnkleidung, Feuermachen, Übernachten am Wochenende. Andererseits eigneten sie sich diese andere unbekannte "Welt" an, säuberten sie, indem sie säckeweise Abfall entsorgten. "Wir haben diese Welt mit unserer Vorstellungskraft aufgeladen", sagt Kai Hoyme heute. Und spricht von einem "Paradies". Wehmut färbt seine Erinnerung nicht.
Die Teilnehmer des Kunst-Spaziergangs, den Hoyme gestern noch einmal wiederholte, erinnern sich ebenfalls. Jeder auf seine Weise. An einer fast zerfallenen Kunststofffolie, an einem von Blättern bedeckten Tarnnetz, an in den Boden gerammten Baumstämmen kletten sich Bilder ferner Bahndämme, die Süchtelner Höhen, Kriegserinnerungen. Privates wird im Urwald allgemein. Ist das Paradies verloren?