Mönchengladbach Arbeitsagentur ist optimistisch

Mönchengladbach · Agenturchef Johannes-Wilhelm Schmitz über seine Hoffnung, dass 2011 die Arbeitslosenquote in Mönchengladbach unter zehn Prozent sinken wird, über den Anstieg geringfügig Beschäftigter, die Förderung von Frauen und die Kooperation mit der Wirtschaftsförderung

War das Jahr 2010 wirklich so ein gutes für den Arbeitsmarkt in Mönchengladbach?

Johannes-Wilhelm Schmitz Wir hatten zu Jahresbeginn einen exorbitanten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Dazu hatten wir eine Kurzarbeiterzahl von fast 10 000. Wir wären also fast an die 40 000 Arbeitslose herangekommen, wenn diese Menschen ihren Job nicht hätten, behalten können. Das war eine ausgesprochen kritische Situation, denn keiner wusste, ob das gut geht. Es ist aber gut gegangen. Menschen und Unternehmen haben in den Erhalt von Arbeitsplätzen investiert. Der größte Teil des eingesparten Arbeitsvolumens kam über tarifliche Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsregelungen zu Stande.

Warum haben Unternehmen nicht im großen Stil entlassen?

Schmitz Weil sich die Erkenntnis durchgesetzt hat: Wenn wir jetzt nicht in Man-Power investieren, dann verpassen wir den Start, wenn es wieder losgeht. Das Zurückfahren von Arbeitszeiten und die Kurzarbeit haben es ermöglicht, schnell wieder zu starten. Das ist der Erfolg des Jahres 2010.

Wie viel haben Sie in Mönchengladbach an Kurzarbeitergeld gezahlt?

Schmitz 2010 waren es im gesamten Agenturbezirk Mönchengladbach 22,2 Millionen Euro. Jetzt sind wir auf dem Normalmaß zurück.

Wie viel zahlen Sie jetzt?

Schmitz Für 2011 rechnen wir mit vier bis fünf Millionen Euro. Darin ist ein Teil des saisonalen Kurzarbeiter-Geldes enthalten.

Haben sich Mönchengladbacher Unternehmen in der Krise gut positioniert?

Schmitz Eindeutig. Wir haben nicht in allen Branchen eine krisenhafte Bewegung gehabt. Vor allem Metall, Elektro und Maschinenbau waren betroffen. Im Dienstleistungssektor ist aber kaum etwas passiert. Die Zahl der arbeitslosen Frauen hat sich deshalb kaum verändert.

Sie glauben, dass die Arbeitslosenquote 2011 unter zehn Prozent sinkt. Woher der Optimismus?

Schmitz Weil ein schlechtes Jahr gut gelaufen ist, ist eine Tür aufgestoßen worden. Wenn ich mir anschaue, was wir für Entwicklungspotenzial haben, auch mit den Neuansiedlungen, dann haben wir gute Chancen, dass sich etwas bewegt. Die Wirtschaftsleistung trägt weiter, dann müssten wir in der Lage sein, unter die zehn Prozent zu kommen. Diese wirtschaftliche Entwicklung ist ein Grund, die Auftragslage auch und die positive Stimmung bei den Menschen. Außerdem sind die meisten Menschen inzwischen nicht mehr im Baugewerbe und im Maschinenbau, sondern woanders beschäftigt. Das ist eine gute Grundlage.

Schönen prekäre Arbeitsverhältnisse wie Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigte nicht die Arbeitslosenzahlen?

Schmitz Wir haben 44 000 geringfügig Beschäftigte, vor zehn Jahren waren es 37 000. Das ist ein Anstieg um vier Prozent. Bei der Zeitarbeit haben wir inzwischen 5200 Beschäftigte, im Jahr 2000 waren es 2200. Da haben wir ein Tarifvertrags-Problem, in der Tat. Aber die meisten namhaften Zeitarbeits-Unternehmen zahlen heute tarifvertragliche Löhne. Bleiben also die 44 000 geringfügigen Beschäftigungen. Das trägt keine Familie und keinen Einzelhaushalt. Aber es gibt Menschen, die können teilweise nicht mehr leisten. Und bei vielen ist die geringfügige Beschäftigung eine Ergänzung zum Familieneinkommen. Das muss man differenziert bewerten. In der Tat, die Größe ist aber nicht unkritisch.

Warum sind in Mönchengladbach besonders viele Frauen arbeitslos?

Schmitz Wir haben mit unserem Angebot an Dienstleistungen und Handel eigentlich sehr viele Möglichkeiten für Frauen, aber bei einem Einpendlersaldo von 3300 kommen sehr viele aus dem Umland. Wir hätten Arbeitsplätze für Frauen aus der Stadt, holen aber Menschen von draußen herein. Das beschreibt ein Problem.

Warum hat Mönchengladbach so viele Hartz-IV-Empfänger?

Schmitz Bei zu vielen Empfängern stimmt die Bildung nicht, und zwar schon seit Generationen. Das müssen wir aufbrechen. Denn da steckt ein Potenzial drin, das wir brauchen. Wir müssen einen Hebel ansetzen, der in Bildung hineinwirkt.

Warum dauert die Umstrukturierung der früheren Textilstadt so lange?

Schmitz Wir haben den Wandel bei Arbeitsplätzen sehr gut geschafft, auch bei den Branchen hat sich einiges getan. Was alle nicht im Fokus hatten, ist die langfristige Wirkung bei den Menschen. Wir haben zwar mehr Gymnasien und mehr Bildung, aber wir haben Personengruppen, die daran keinen Anteil haben. Die haben zudem eine höhere Reproduktionsquote. Das heißt: Wir haben weniger Kinder insgesamt, aber immer mehr aus Familien in prekären Verhältnissen. Die Wirtschaftsförderung hat gut gegriffen, aber nicht die Förderung der Menschen.

Also: einmal Hilfsarbeiter, immer Hilfsarbeiter?

Schmitz Genau. Es werden zu wenig Möglichkeiten genutzt oder sind für die Zielgruppe zu wenig nutzbar, um aus einmal eingefahrenen Situationen herauszukommen. Das sind keine Schuldzuweisungen, sondern Tatsachen. In berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen stellen wir oft fest, dass Menschen mit 16 Jahren in ihrer Persönlichkeitsbildung verfestigt sind. Wenn in deren Wertschätzung Hartz IV eine Lebensform ist, dann ist das drin. Und das bemerken wir in Mönchengladbach sehr stark aus der alten Situation, als preiswerte Kräfte gebraucht wurden. Dieser Bedarf ist aber in Massen weggebrochen. Arbeitsplätze sind in der Dienstleistung entstanden. Aber da braucht es eine ganz andere Kompetenz, die viele Leute nicht haben. Die Stadt hat zwei Stellen genehmigt bekommen, um sie in einem Brennpunktbereich in Grundschulen einzusetzen.

Mit Fiege/Esprit und Elopak werden sich zwei große Unternehmen ansiedeln. Leistet die Wirtschaftsförderung gute Arbeit?

Schmitz Wir arbeiten mit der Wirtschaftsförderung hervorragend zusammen. Wir geben Zusagen, welche Arbeitskräfte wir liefern können. Und damit tritt die Wirtschaftsförderung auf, um neue Unternehmen anzusiedeln.

Projektentwickler klagen über Mangel an zentrumnahen Büroflächen.

Schmitz Da ist Bewegung notwendig. Es ist enorm schwierig, Büroräume für moderne Technik zu finden. Gibt es mehr moderne Büroräume, erzeugt das auch den Druck, alte Gebäude zu modernisieren.

Ist ein Mangel an Fachkräften Realität? In welcher Form könnte sich das bei den Unternehmen in der Stadt bemerkbar machen?

Schmitz Wir werden uns nicht abkoppeln können von der demographischen Entwicklung im Bundesgebiet. Wir haben immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter. Aber ohne Fachkräfte geht es nicht: Ein Computer kann kein Verkaufsgespräch führen und eine Maschine keinen Rohrbruch reparieren. Genauso werden wir auch immer ungelernte Kräfte brauchen. Aber deren Anforderungen steigen.

In welchen Fällen kann die Bundesagentur Menschen umschulen?

Schmitz Die Bundesagentur kann immer etwas tun, aber eine gute Grundqualifikation ist Voraussetzung. Wenn die nicht vorhanden ist, wird es schwierig. Dabei geht es um Faktoren, die von Kindheit an eingeübt werden. Wenn das nicht passiert ist, kommen wir zu spät.

Ihr Potenzial auf dem Arbeitsmarkt sind Frauen. Was tut die Agentur, um Berufsrückkehrerinnen nach der Familienphase zu qualifizieren?

Schmitz Gerade bei diesen Frauen finden sich gute Fundamente, gute Kompetenzen aus der beruflichen Tätigkeit und aus der Familientätigkeit, die man verwerten kann. Wer eine Familie managt, der hat eine Kompetenz. Und das kann man weiterentwickeln. Beispielsweise qualifizieren wir Frauen sehr erfolgreich zu Projekt– und Teamassistentinnen.

Müssen Unternehmen mehr für Mütter tun? Mit Betriebskindergärten?

Schmitz So ist es. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Erwerbsbeteiligung der Frau – da braucht es eine Menge Bewegung. Es gibt Unternehmen, die sehr stark männerdominiert sind, die sind traditioneller unterwegs. SMS Meer ist da ganz anders aufgestellt. Ich brauche keine Männer, ich brauche gute Mitarbeiter. Das hat noch einen anderen Hintergrund: Armut im Alter ist in unserer Gesellschaft Armut der Frau. In einer Familie erwirbt jeder einen eigenen Rentenanspruch, es müssen also beide Eltern tätig sein. Deshalb müssen Frauen im Beruf Chancen nutzen können.

Zu welcher Ausbildung können Sie jungen Menschen derzeit raten?

Schmitz Es gibt keinen Beruf, von dem ich rate, die Finger zu lassen. Wichtig ist, ein gutes Fundament zu legen. Sicher gibt es Bereiche, die mehr im Fokus stehen. Aber wer als Bäcker einsteigt, hat eine Grundqualifikation, mit der man weiter arbeiten kann. Deshalb rate ich: Hört auf euch selbst, wo liegen die Kompetenzen? Nehmt die Ausbildungsplatzwahl nicht so dramatisch, es ist der Einstieg in die Arbeitswelt.

Andreas Gruhn und Dieter Weber führten das Gespräch.

(RP)
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