Mönchengladbach Anmut aus drei Welten

Mönchengladbach · Die Ballett-Compagnie von Robert North zeigt als Uraufführung "Souvenirs aus West und Ost". Selbst Stalin und die "Russische Seele" haben ein Pas des deux.

So eine Ballettpremiere hat was. Nachher fühlt man sich irgendwie straffer, erquickt und seines Körpers bewusster. So sehen an diesem Sonntagabend gegen 10 Uhr die von den Bäumen im Park flötenden Amseln lauter Theaterbesucher auf dem Heimweg, die sehr viel mehr zu schweben scheinen als bei ihrer Ankunft. Ursache ist Robert Norths dreiteiliger Abend "Souvenirs aus West und Ost", bei dem der Tanzästhet sich in Diensten des Theaters von wohltuend erzählerischer Seite gibt und das Ensemble sich in tadellosem Zustand präsentiert. Neben schönen, sportlich wie technisch hoch gebildeten Körpern in anmutig wechselnden Ensembles gibt es bei dieser Uraufführung Musik live aus dem Graben, einen leibhaftigen Pianisten auf der Bühne und pittoreske Kostüme in zweckdienlichen Bühnenbildern.

Die Zuschauer reisen mit dem Compagniechef ins New York des George Gershwin, schauen mal kurz in Kuba vorbei und lassen sich im fast abendfüllenden zweiten Teil eine von Folklore ausgemalte Geschichte Russlands erzählen. Samt Stalin und "Russischer Seele" im Pas des deux. Big Apples Wolkenkratzer schweben vertraut zwischen den quirligen Figuren, die die Geschäftigkeit der Metropole in Kostümen der 30er Jahre darstellen. Ein Mann mit Schlägermütze (Giuseppe Lazzara) trägt eine kühle Schöne (bezaubernd geschmeidig Teresa Levrini) auf Händen, während die Jugend drumherum ausgelassen ist. Ein Polizist will für Disziplin sorgen, wird aber von dem Strudel an Energie mitgerissen. Dann geht's an die rot-kunstlederne Bar, später rührt ein Kuss eines jungen Paares (Elisa Rossignoli, Alessandro Borghesani) unter bunter Lampions auf einer Parkbank in wie hingegossenen Bewegungen zu Seufzern. Und immer wieder wirbelt die ganze Compagnie mit Tempo durch die Szenerie. Udo Hesse hat gleich Bühne und Kostüme besorgt, die Schneiderei hatte sicher wenig Muße in den letzten Wochen. Alles ist so schön. Und akkurat. Und gespickt mit balletteusen Höchstschwierigkeiten, deren Ausführung die Fachleute im Publikum entzückt.

Als nach heftigem Zwischenapplaus unvermittelt ein großformatiger Bilderrahmen mit Palmen am Strand einschwebt, sind wir auch schon in Kuba. Erklang gerade noch Gershwin und Bernstein, sind wir jetzt wieder bei Gershwin und mit seiner kubanischen Ouvertüre in der Sonne der Karibik. Die Kleider sind leichter, fließend, in sonnigen Pastelltönen gehalten und verbreiten schwingende Lebensfreude. Fünf rasante wie kurze Minuten, dann ist Pause.

In den dritten Teil, "Russland", hat Robert North neben dem Formenrepertoire der Folklore, Kasatschok und Co., auch eine gehörige Portion Weltanschauung in Bewegung verwandelt. Da treten nicht nur Arbeiter, Bauern, Intellektuelle, Aristokraten auf, da ist auch die "Russische Seele", blauweißrot verkörpert von Elisa Rossignoli, aufgeboten, ein leibhaftiger Tod in Schwarz (Alessandro Borghesani), die heutige Jugend in Jeans und kurzen Röckchen, ja sogar Stalin tanzt. Das macht unter der Maske Takashi Kondo. Und Schostakowitsch, der wie immer auf Koffern hockt (Raphael Peter). Schließlich wird seine Musik gespielt, in ihren divergenten Stilen zwischen Volkstümlichkeit und Dissonanz, zwischen Kitsch und Sentiment. Es geht da heftig zur Sache, auf der Bühne und in Mütterchen Russlands Geschichte. Im Graben haben die Niederrheinischen Sinfoniker, besonders die solistischen Stimmführer, große und dankbare Aufgaben.

Kapellmeister Andreas Fellner darf aus dem Vollen schöpfen, ist immer mit einem Auge auf der Bühne, was frappierend genaue Übereinstimmung zwischen Bewegung und Musik erzeugt. Und mit André Parfenov darf auch noch ein wirklicher Pianist in die Szenerie - bei einer eingestreuten Ballettprobe. Gerade die großen Gruppenszenen entfalten große Suggestion, manch tänzerische Zweisamkeit rührt regelrecht. Dass die Figur der "Russischen Seele" zunächst mit Stalin, dann mit dem Tode tanzt, wäre ein trauriges Ende. Deshalb hat North noch einen offenen, versöhnlichen Schluss angefügt. Drei Vorhänge, Applaus im Stehen, und im Schwebezustand den Weg nach Hause antreten.

(RP)
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