Mönchengladbach Allein zu Haus – auf Probe

Mönchengladbach · In einer Übungswohnung des Landschaftsverbands Rheinland erfahren Menschen mit Handicap, ob sie den Alltag alleine meistern können – unterstützt von ambulanten Pflegern. Aus dem Modell- ist ein Erfolgsprojekt geworden.

 Er kann den Alltag alleine meistern: Heinz Josef Hortmanns.

Er kann den Alltag alleine meistern: Heinz Josef Hortmanns.

Foto: Ilgner

In einer Übungswohnung des Landschaftsverbands Rheinland erfahren Menschen mit Handicap, ob sie den Alltag alleine meistern können — unterstützt von ambulanten Pflegern. Aus dem Modell- ist ein Erfolgsprojekt geworden.

Man kann doch nicht jeden Abend Pommes essen, findet Heinz Josef Hortmanns. Der 46-Jährige stammt aus einer Großfamilie — da bestimmt der größtmögliche Nenner und nicht der Einzelne, was auf den Tisch kommt. Weil Hortmanns darüber hinaus noch geistig behindert ist, war es ihm selten möglich, Entscheidungen für sein eigenes Leben zu treffen. Irgendwann aber, vor zwei Monaten etwa, wurde es dem Schelsener zu bunt: "Zu Hause kriege ich einfach keine Ruhe", sagte er sich. Mal alleine leben, das wäre schon was. Aber würde er das hinbekommen? Einkaufen, Wäsche waschen, kochen — allesamt Dinge, die er nie zuvor gemacht hatte?

An den Aufgaben wachsen

Nur zwei Monate später steht fest: Hortmanns kriegt das hin. Jeden Tag ein bisschen besser — und er wächst an seinen Aufgaben. Er lebt derzeit für rund zwei Monate in einer Probewohnung des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), die die Evangelische Stiftung Hephata angemietet hat. Vier solcher "Trainingswohnungen" gibt es im Rheinland, eine davon in Rheydt; weitere sollen folgen (siehe Info). Im Erdgeschoss eines ganz normalen Wohnhauses. 43 Menschen mit Handicap haben dort seit September 2009 bereits vorübergehend gelebt — Heimbewohner, Jugendliche oder Menschen, die nie woanders gewohnt haben als zu Hause.

Sie alle haben dort ausprobiert — mit maximal drei weiteren Menschen in einer WG oder alleine — ob sie das schaffen: den Alltag selbst stemmen, nur unterstützt von vier Fachdiensten für ambulant betreutes Wohnen, die bei Bedarf vorbeischauen. Elf haben nach dem Probewohnen das betreute Wohnen realisiert, 16 weitere planen das aktuell. Carina Schwindt ist eine von ihnen. "Nach sieben Wochen Probewohnen kann ich besser einschätzen, wofür ich wie viel Hilfe benötige", sagt die 24-Jährige, die noch bei ihren Eltern lebt. Und Hortmanns? Ist sich noch nicht sicher, er hat aber auch noch Zeit bis zum 5. Mai. Die Tendenz gehe aber dahin, von zu Hause auszuziehen.

"Oft sind es nicht zuletzt auch die Eltern, die erfahren wollen, ob ihre Kinder das hinkriegen", sagt Christopher Micha von "KoKoBe", den Beratungsstellen für Menschen mit geistiger Behinderung. Förderschulen, die Stadt sowie Träger von Werkstätten für Menschen sind Behinderung gehören mit zum Netzwerk. In der Hephata-Werkstatt arbeitet auch Hortmanns.

Und wenn er abends nach Hause kommt, in "seine" vier Wände, kann er tun und lassen, was er möchte. Etwas anderes als Pommes zubereiten beispielsweise. Das Treppenhaus putzen. Und manchmal eben auch die anderen Hausbewohner nerven. "Letztens habe ich ganz laut das Borussia-Lied aufgedreht, als die gewonnen haben", sagt Hortmanns und grinst — wie ein ganz normaler Nachbar eben.

(RP)
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