Mönchengladbach 43 Jahre fair und gerecht im Ehrenamt

Mönchengladbach · Andere nehmen Krimis mit in den Urlaub, Arbeitsrichter Bert Lingen packt Fachliteratur in den Koffer.

 Am Arbeitsgericht war Bert Lingen immer als fairer und gerechter ehrenamtlicher Richter anerkannt.

Am Arbeitsgericht war Bert Lingen immer als fairer und gerechter ehrenamtlicher Richter anerkannt.

Foto: Isabella Raupold

Bert Lingen kann sich noch genau an das erste Mal erinnern. "Ich war hypernervös. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt. Also habe ich erst einmal Fachliteratur eingepackt", berichtet er. Bert Lingen war 27 Jahre alt, gerade zum ehrenamtlichen Richter am Arbeitsgericht berufen worden, und seine erste Verhandlung stand bevor. "In der Beratung habe ich dann schnell gemerkt: Das mit den Büchern war falsch." Fachliteratur gibt es auch im Gericht, und häufig ist Menschenverstand gefragt. Den hat Bert Lingen.

Wenn Ende des Monats seine Amtszeit endet, war er 43 Jahre lang ehrenamtlicher Richter. Eine ungewöhnlich lange Zeit. Bert Lingen hat sie genossen, auch wenn manche Verhandlungen ihn sehr berührten. "Wenn es zum Beispiel um die Kündigung eines 55-Jährigen ging, die nicht rückgängig gemacht werden konnte, und du weißt, dass der Mann auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hat", sagt Lingen. Das habe oft schon richtig wehgetan.

Bert Lingen, der 1972 in den Betriebsrat von Schorch gewählt wurde, besuchte damals viele Arbeitsrechtsseminare. Dabei muss er wohl Heinz Rieken, zu der Zeit 1. Bevollmächtigter der IG Metall, aufgefallen sein. Denn der schlug den jungen Lingen, der schnell in der Lage war, Gesetze zu lesen, als Arbeitsrichter für die Arbeitnehmerseite vor. "Ich wusste das zuerst nicht, und war unheimlich überrascht, dass ich plötzlich der jüngste ehrenamtliche Richter in NRW werden sollte", berichtet Lingen.

Die Richter am Arbeitsgericht lernten Lingens Sachverstand und soziales Engagement schnell schätzen. 1998 wurde er für seinen Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die Direktorin des Arbeitsgerichts Mönchengladbach sagt über ihn: "Herr Lingen ist als fairer und gerechter Richter anerkannt. Seine beruflichen Erfahrungen und seine Kenntnisse im sozialrechtlichen Bereich hat er in ausgezeichneter Weise mit eingebracht und so der Rechtssprechung nutzbar gemacht." Alle am Amtsgericht tätigen Richter hätten immer gerne mit ihm zusammengearbeitet. Vertreter der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite schätzten ihn gleichermaßen. Wohl auch deshalb wurden seine Amtszeiten immer wieder verlängert. Als Bert Lingen aus dem Beruf ausschied und er eigentlich nicht mehr als ehrenamtlicher Richter der Arbeitnehmerseite tätig sein durfte, wurde er kurzerhand wieder eingestellt. Auch jetzt, wo er 70 Jahre alt ist, wurde ihm noch einmal von einem Arbeitgeber eine Stelle angeboten, damit er weiter Recht sprechen kann. "Aber genug ist genug", sagt Bert Lingen, was aber nicht heißt, dass er jetzt die Hände in den Schoss legt. "Das könnte ich nicht", sagt er. Als ehemaliger Sozialberater von Schorch wird er sich auch weiterhin für andere Menschen einsetzen.

Auch wenn Bert Lingen etliche Fälle als ehrenamtlicher Richter verhandelt hat, "der blonde Engel" wird ihm immer in Erinnerung bleiben. Ende der 1970-er Jahre hatte Bernd Schuster gleichzeitig bei Borussia Mönchengladbach und beim 1. FC Köln einen Vertrag unterschrieben. Gladbach verlangte Schadenersatz. Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht und bei Bert Lingen. "Ich habe die ganze Zeit nur Bernd Schusters Mittelscheitel gesehen. Er hat die ganze Zeit nach unten gesehen", erzählt der ehrenamtliche Richter. Als Lingen in der Verhandlung fragte "Ist es nicht so, dass Borussia längst Hans-Günter Bruns für Schuster verpflichtet hat?", wurde das als Suggestivfrage ausgelegt. Die Vorsitzende Richterin wollte Bert Lingen noch zur Seite springen. Doch das hatte zur Folge, dass beide wegen Befangenheit abgelehnt wurden. Später hätten sich die beiden streitenden Parteien übrigens außergerichtlich geeinigt, berichtet der 70-Jährige.

Manchmal sorgte Bert Lingen auch für Lösungen, die nur bedingt etwas mit dem Gerichtsfall zu tun hatten. Da war zum Beispiel der der unzufriedene Betriebsrat eines Unternehmens, der sich nur in einem verglasten Büro mitten in einer Halle, also quasi auf dem Präsentierteller, treffen konnte. Bert Lingen wusste, dass es bei Schorch freie Büros gab. So konnte das Problem schnell gelöst werden. Die Räume wurden für Besprechungen der Betriebsräte angemietet.

Im Mai feiert Bert Lingen Abschied im Amtsgericht mit allen Kollegen dort. Dann werden sicherlich noch einmal viele alte Fälle diskutiert.

(RP)
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