Mönchengladbach 40 Jahre Einsatz für die Gerechtigkeit

Mönchengladbach · Bert Lingen hat als ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht viel erlebt: Streit um einen Borussia-Vertrag mit Bernd Schuster, Kündigung wegen eines Bustiers und Wirbel um eine Betriebsratsliste, auf der eine ganze Unternehmerfamilie samt Opa stand.

Es ist ein ungewöhnliches Jubiläum. Denn auf 40 Jahre kann in diesem Amt kaum jemand zurückblicken. Bert Lingen schon. Er wurde mit 27 Jahren ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht und war damals wohl der Jüngste. "Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein ehrenamtlicher Richter vor ihm 40 Jahre an einem Gericht tätig war. Das ist schon aus zeitlichen Gründen schwierig: In das Ehrenamt wird man erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres berufen", sagt Annette Klempt, Direktorin des Arbeitsgerichtes Mönchengladbach. Vorgeschlagen wurde er vom Deutschen Gewerkschaftsbund. "Ich habe damals viele Arbeitsrechtsseminare besucht und da immer heftigst diskutiert", sagt Bert Lingen, "da bin ich wohl aufgefallen."

Vor seiner ersten Sitzung war Bert Lingen, der ab 1972 im Betriebsrat von Schorch tätig war, hypernervös, wie er selbst sagt. Und: "Ich hatte mir Fachliteratur mitgenommen, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt." Schnell sollte er feststellen, dass der gesunde Menschenverstand bei dem Amt eine wichtige Rolle spielt. Wie viele Prozesse Bert Lingen, der in Hehn lebt, in den 40 Jahren mitmachte, kann er gar nicht mehr sagen. "Ich hatte bei der Geschäftsführung immer meine Nummer hinterlegt für den Fall, dass jemand krank wird oder wegen Befangenheit abgelehnt wird."

Letzteres ist Bert Lingen allerdings selbst einmal passiert. Das war 1977/78. Da hatte Bernd Schuster gleichzeitig bei Borussia Mönchengladbach und beim 1. FC Köln einen Vertrag unterschrieben. Gladbach verlangte Schadenersatz. Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht und bei Bert Lingen. Als er in der Verhandlung fragte: "Ist es nicht so, dass Borussia längst Hans-Günter Bruns für Schuster verpflichtet hat?" wurde das als Suggestivfrage ausgelegt. Die Vorsitzende Richterin wollte Bert Lingen noch zur Seite springen. Doch das hatte zur Folge, dass beide wegen Befangenheit abgelehnt wurden. Der zweite ehrenamtliche Richter von der Arbeitgeberseite wurde nicht abgelehnt. Er war Mitglied von Borussia Mönchengladbach.

Bert Lingen, der noch als Sozialberater bei Schorch beschäftigt ist, hat sich immer für Arbeits- und Sozialrecht interessiert. "Ich nehme mir Arbeitsrechtskommentare mit in den Urlaub wie andere Krimis", sagt er. Doch manchmal sind es die Kleinigkeiten, die auch Richter ratlos machen. So landete zum Beispiel in den Zeiten ohne Handys und iPhones folgender Fall vor dem Arbeitsgericht: Ein Mönchengladbacher Modegeschäft hatte einer Verkäuferin gekündigt, weil die zu offenherzig im Bustier im Laden erschien. "Keiner wusste damals, was ein Bustier ist", erzählt Bert Lingen. Der Vorsitzende Richter musste erst seine Frau anrufen, um zu erfahren, dass es sich bei dem Casus knacksus um ein knappes, eng anliegendes Oberteil handelt.

Und auch das hat Bert Lingen erlebt: Bei einem kleinen Baumarkt im Raum Erkelenz waren die Wahllisten zum Betriebsrat manipuliert worden. "Die Besitzer des Marktes hatten alle Familienmitglieder bis zum Opa in die Liste eingetragen", sagt Lingen, der 1998 für seinen Einsatz als ehrenamtlicher Richter mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde. Die Betriebsratswahl musste wiederholt werden.

Die Arbeit macht Bert Lingen auch heute, nach 40 Jahren, noch Spaß. Für den nächsten Urlaub hat er sich die Erfurter Kommentare zum Arbeitsrecht mit 1000 Seiten vorgenommen. Die Richter am Arbeitsgericht wissen das zu schätzen. Annette Klempt: "Meine Kollegen und ich schätzen die Beiträge von Herrn Lingen in unseren Beratungen sehr. Er bringt seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen ein. Seine sozialrechtlichen Kenntnisse sind sehr hilfreich, auch für einvernehmliche Lösungen. Wir freuen uns, dass wir noch ein paar Jahre mit ihm zusammenarbeiten können."

(RP)
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