An(ge-)dacht Wem kann ich zum Mitmenschen werden?

Mettmann · Wer ist mein Mitmensch? Diese Frage ist die zentrale Frage im Vorlauf der Jesusgeschichte vom "Barmherzigen Samaritaner". Bezeichnend ist, dass diese Frage von einem Menschen gestellt wird, der überzeugt ist, ein vor Gott wohlgefälliges Leben zu führen.

 Pfarrer Bertold Stark.

Pfarrer Bertold Stark.

Foto: Achim Blazy

Allerdings erkennt er nicht, dass das Gebot der Gottesliebe untrennbar mit dem Gebot der Liebe zum Mitmenschen verbunden ist, deren Wesen es ist, nicht nach Nationalität und Hautfarbe sowie nach der Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Milieu oder zu einer Religionsgemeinschaft zu unterscheiden.

Stattdessen reiht der Fragesteller sich ein in die Reihe derer, die davon überzeugt sind, über die Hilfsbedürftigkeit eines anderen Menschen nach eigenem Gutdünken entscheiden zu können und fragen: "Hat der Mensch überhaupt Hilfe verdient?" " Hat er seine Not etwa selbst verschuldet?" " Ist seine Not denn so gravierend, dass ihm Hilfe gewährt werden muss?"

Oft genug stehe ich auch in dieser Reihe und meine, mir den Menschen aussuchen zu dürfen, dem ich mich in seiner Not zuwende. Es treibt mich jedoch um, wenn ich erkennen muss, dass Unsicherheit und Angst mich in diese Reihe stellen. Es ist die Unsicherheit, die Situation der Hilfsbedürftigkeit - vom Obdachlosen am Bahnhof bis hin zum Flüchtling, der in meiner Stadt untergebracht wird - nicht erschöpfend erfassen zu können. Diese Unsicherheit entspringt der Angst, mir könnte etwas genommen werden an materiellen und ideellen Werten bis hin zu meiner religiösen Überzeugung.

Gut, dass ich erinnert werde, dass vor der Liebe Gottes diese Einwände keine Berechtigung haben. Das erzählt die Jesus-Geschichte von dem Schwerverletzten, der Hilfe bekommt durch einen Fremden, der sich der Begrenztheit menschlicher Urteilssysteme nicht unterwirft.

Das ist die Erkenntnis, der sich der Fragesteller der Eingangsfrage zum Schluss nur anschließen kann - und ich mit ihm. Die Nächstenliebe fragt nicht in gewisser Überheblichkeit: "Wer ist denn mein Mitmensch?"; sondern sie fragt ohne Vorurteil: "Wem kann ich zum Mitmenschen werden?"

PFARRER BERTOLD STARK, EVANGELISCHE GEMEINDE METTMANN, BERTOLD.STARK@EKIR.DE

(RP)
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