Weihnachten Zuflucht Von Ostpreußen nach Obschwarzbach

Mettmann · Kurt Lessing fand im Mettmanner Ortsteil wie viele andere Flüchtlinge eine neue Heimat.

 Kurt Lessing zog vor 40 Jahren mit seiner Familie von Heiligenhaus nach Obschwarzbach um.

Kurt Lessing zog vor 40 Jahren mit seiner Familie von Heiligenhaus nach Obschwarzbach um.

Foto: Dietrich Janicki

Eine neue Heimat fand der gebürtige Ostpreuße Kurt Lessing (80) in Obschwarzbach. Das war 1974. Damals erwarb der gelernte Uhrmacher und spätere AEG-Projektmanager eine sogenannte Nebenerwerbstelle auf der grünen Wiese. Ehemaligen Flüchtlingen wurde von der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) ein preiswertes Grundstück plus Haus verkauft.

"Voraussetzung: Man musste einen Siedlungsschein besitzen", sagt Lessing. Ein Nachweis, dass man früher in irgendeiner Form mit Landwirtschaft zu tun hatte. Die Siedler in Obschwarzbach hatten allerlei Vergünstigungen: Sie brauchten keine Grund-Erwerbssteuer zu zahlen, es gab günstige Kredite, die abhängig vom Einkommen waren. Die Häuser waren einfach, berichtet Lessing, Niveau: Sozialer Wohnungsbau.

Doch bis Kurt Lessing in Mettmann eine neue Heimat fand, mussten er und seine Familie einen langen Weg zurücklegen. Geboren und aufgewachsen ist Kurt Lessing in Kaukehmen bei Tilsit. Im Spätherbst 1944 mussten die Lessings wie viele andere Familien aus Ortpreußen fliehen. "Wir packten unser Hab und Gut auf ein Pferdefuhrwerk. Wir - das waren, Großmutter, Mutter und vier Kinder. Unser Vater war im Krieg." Es wurde ein großer Treck zusammengestellt und dann ging es über Königsberg nach Pillau und weiter mit einem Kohlenschiff nach Gotenhafen. "Eigentlich wollten wir auf die Gustloff. Doch es gab keinen Platz mehr", sagt Lessing.

Er beobachtete eine Frau, die ins Wasser sprang und so noch auf die Gustloff kam. Das ehemalige Kreuzfahrtschiff wurde auf dieser Fahrt von einem sowjetischen U-Boot versenkt. 9000 Menschen kamen uns Leben. Schließlich kamen die Lessings nach einer langen Reise in Kaltenlengsfeld, einem kleinen Ort in der Rhön, an. 500 Einwohner nahmen 300 Flüchtlinge auf. Noch heute ist Kurt Lessing von der Hilfsbereitschaft dieser Menschen berührt und ergriffen. Es folgten zahlreiche Zwischenstationen, schließlich wohnte die Familie in Heiligenhaus.

Zurück zu Obschwarzbach: In Mettmann, so berichtet Kurt Lessing, gab es bereits in den 60er Jahren Überlegungen, eine Siedlung für Vertriebene und Flüchtlinge zu bauen. "Doch es war unklar, wo eine solche Siedlung gebaut werden sollte. Mögliche Standorte waren das Neandertal oder der Mettmanner Norden." Da trat Bürgermeister Wilhelm Voß auf die politische Bühne. Er besaß Ackerflächen in der Gemarkung Obschwarzbach und verkaufte sie für diesem Zweck. Die Familie Lessing zog mit ihren zwei Kindern von Heiligenhaus nach Obschwarzbach. "Wir waren die ersten Siedler", erzählt er heute.

Per Losverfahren wurden die Häuser und Grundstücke vergeben. "Wir haben Zettel aus einem großen Hut gezogen", erinnert er sich. Damals zählte Obschwarzbach lediglich 34 neue Häuser. "Die Gärten waren groß, Hintergrund: Man wollte den Siedlern die Möglichkeit eröffnen, Hühner und Schweine zu halten." Doch meist - wenn überhaupt - blieb es bei Hühnern.

Die Neusiedler wurden zu einer eingeschworenen Gemeinschaft. Was sie verband, war ihr neuer Lebensmittelpunkt. Die Straßennamen dokumentieren dies: Ostpreußenstraße, Masurenstraße, Schlesienstraße, Mecklenburger Straße. Die erste Bewährungsprobe des Wir-Gefühls war ein Streit mit der LEG im Jahr 1978. Die 34 Siedler sollten insgesamt eine Summe von 750 000 DM nachzahlen. Unter Berufung auf die Kaufverträge wurde die Nachzahlung abgelehnt. Es gab eine juristische Auseinandersetzung, das Amt für Agrarordnung wurde eingeschaltet. Es ging letztlich um das aktuelle Einkommen der Siedler, sagt Lessing. Also um die Frage, ob sie berechtigterweise die günstigen Kredite erhalten durften. Die Einkommensverhältnisse sollten offengelegt werden. "Eine Taschenguckerei haben wir aber abgelehnt". Letztlich wurde dann auch die Finanzierung für die restlichen Siedler genehmigt.

Auch wenn es im Laufe der Jahre zu einem Generationenwechsel gekommen ist, und neue Menschen nach Obschwarzbach gezogen sind, so sei das "Wir-Gefühl" immer noch vorhanden, sagt Lessing.

(RP)
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