Michael Anhut Viele religiöse Menschen verlassen Kirche

Mettmann · Der 56-jährige Diakon ist seit sechs Jahren in der katholischen Kirchengemeinde St. Maximin in Düssel tätig.

 Michael Anhut in "seiner" Kirche in St.Maximin in Düssel.

Michael Anhut in "seiner" Kirche in St.Maximin in Düssel.

Foto: Dietrich Janicki

Die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie nie. Woran liegt´s?

 Beim Frauenkarneval in Düssel moderierte Michael Anhut im Karneval 2010 als "Mann vom Bau".

Beim Frauenkarneval in Düssel moderierte Michael Anhut im Karneval 2010 als "Mann vom Bau".

Foto: Janicki, Dietrich (jd-)

Anhut Der Kirchenaustritt ist ja nur der letzte Schritt einer persönlichen Entwicklung. Am Anfang steht in der Regel eine Entfremdung. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen und reichen von Unverständnis über persönlichen Ärger mit "Gottes Bodenpersonal" bis zu äußeren Anlässen wie die entsetzlichen Missbrauchsfälle und den Umgang mit Geld.

Wird Religion verzichtbar?

Anhut Ich sehe darin keinen Verzicht auf Religion, sondern eine Abkehr von einer Institution, die mir nichts mehr zu sagen hat oder mit der ich nichts mehr zu tun haben will. Ich kenne viele religiöse Menschen, die ihrer Kirche den Rücken zugewandt haben.

 Michael Anhut und Pastor Otto Langel 2013 bei der Vorstellung der Jugendstiftung.

Michael Anhut und Pastor Otto Langel 2013 bei der Vorstellung der Jugendstiftung.

Foto: DJ

Dabei taumeln wir doch zunehmend seelisch haltlos durch den Alltag....

Anhut Ich habe den Eindruck, dass die Seele, unser Innerstes, mit den Entwicklungen nicht Schritt gehalten hat. Vor 130 Jahren sind Menschen noch zu Fuß gegangen, wenn sie irgendwo hin wollten oder haben Pferd und Kutsche benutzt. Die technische Entwicklung seit dieser Zeit ist die rasanteste in der Menschheitsgeschichte.

Könnte Kirche da nicht helfen, zu mehr Gelassenheit zurückzufinden?

Anhut Auch Kirche kann die Zeit nicht anhalten. Aber wir können zu einem Bewusstsein einladen, das Fragen nach dem "Wo komme ich her - wo gehe ich hin - wozu bin ich hier" wieder in den Blick nimmt. Das zu einem anderen Umgang mit der uns zur Verfügung stehenden Lebenszeit einlädt und uns daran erinnert, dass wir Menschen ein Ziel bei Gott haben.

Scheidungen, Homosexualität, Kopfschütteln über den Zölibat: Auch in Wülfrath sieht die Lebensrealität vieler Menschen anders aus als von der Katholischen Kirche propagiert.

Anhut Wegweiser sind ja dazu da, um Menschen einen Weg zum Ziel zu weisen. Das heißt nicht, dass es nicht auch andere Wege gibt - und wenn ich mich in einer Gegend auskenne, fahre ich auch mal Schleichwege. Fahre ich mich dann aber fest, werde angehalten, verletze ich jemanden oder komme nicht an, muss ich das auch selbst verantworten. Die Ausrede "Das machen doch alle" hilft dann nicht weiter.

Lassen sich "Wegweisungen von oben" eigentlich noch durchhalten?

Anhut Jesus war oft mit den Menschen auf Schleichwegen im Gespräch, vielleicht stünde uns als Kirche das auch ganz gut. Menschen auf ihre Sexualität, Beziehungsform oder andere Teilaspekte zu reduzieren und zu bewerten, sollte nicht unser Stil sein.

Geraten Sie mit dem, was Sie selbst für richtig halten nicht manchmal an die Grenzen dessen, was der katholische Glaube erlaubt?

Anhut Ich bin zwar Diakon, aber eben auch Michael Anhut. Im Optimalfall ist das zwar das Gleiche - in Grenzsituationen muss ich mir aber auch sagen, dass ich, hoffentlich kluger Verwalter, aber nicht Eigentümer der frohen Botschaft und der Sakramente bin.

Und wie lässt sich das umsetzen?

Anhut Wichtig ist mir, dass Menschen sich angenommen fühlen, so wie sie sind. Auch wenn ich ihre Lebenssituation dann vielleicht nicht legitimieren oder besiegeln darf. Und dass ich auch mal sagen darf, dass ich ein Verhalten nicht richtig finde, auch wenn dieses Verhalten vom Zeitgeist legitimiert wird.

Pastor Langel sagte kürzlich, die Kirche denke mit Blick auf Veränderungen in Jahrhunderten. Glauben Sie, dass noch so viel Zeit bleibt?

Anhut Wer den Zeitgeist heiratet, ist morgen schon Witwer. Ich mag an meiner Kirche, dass sie nicht jedem Trend hinterherläuft. Dadurch wirkt sie natürlich auch schwerfällig. Die Gewissensnöte, die ich Menschen in ihren vielleicht nicht kirchenkonformen Lebenssituationen zugestehe, muss ich aber auch den Bischöfen auf der Suche nach neuen Wegen zugestehen, die ja immer auch Gottes Wege sein müssen.

Womöglich schafft sich die Katholische Kirche durch ihre Schwerfälligkeit selbst ab?

Anhut Gerade durch ein Verlassen von Gottes Wegen schafft Kirche sich selber ab, sie verliert ihren originären Sinn. Was ich mir statt Schnelligkeit im Wandel wünsche, ist ein liebevollerer menschlicher Umgang gerade mit solchen Menschen, die nicht dem kirchlichen Idealbild entsprechen.

SABINE MAGUIRE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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