Lesung Heimat, die der Brexit ins Wanken bringt

Mettmann · TV-Korrespondentin Annette Dittert stellte ihr neues Buch in der gut besuchten Kulturvilla vor.

 Wenn Annette Dittert liest oder erzählt, ist es, als wäre man hier und jetzt mit ihr unterwegs.

Wenn Annette Dittert liest oder erzählt, ist es, als wäre man hier und jetzt mit ihr unterwegs.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Hausherrin Constanze Backes stellte ihren prominenten Gast als „die Große“ vor, die zwei Klassen über ihr war, als die beiden noch das Mettmanner Heinrich-Heine-Gymnasiums besuchten. An diese Zeit erinnert sich Annette Dittert sehr gut und ausgesprochen gerne, weshalb ihr Mettmanner Gastspiel auch mit einem Lob der guten Lehrer und einer „total tollen Schulzeit“ begann, wie es wohl selten zu hören ist.

Mit einigen Lehrern ist sie bis heute befreundet. In der voll besetzten Kulturvilla dürfte dies mancher anwesende Pädagoge gern gehört und ihre wohlformulierten Ausführungen genossen haben. Zu erzählen hat sie in der Tat viel, die Frau in der irisch-grünen Jacke und dem tartan-artig karierten Oberteil, über dem später noch ein geblümtes Jäckchen zum Vorschein kam.

Etwa, dass sie in London, „der wunderbarsten Stadt der Welt“, auf einem Kanalboot zuhause ist. Sie hat es mit allem für diese Wohnform möglichen Komfort anfertigen lassen, nachdem sie sich vom Vorgänger, „einem alten verschimmelten Teil“, gekauft nach einem Abend mit zu viel Gin Tonic, dann doch einmal trennen konnte.

Vom Wasser aus zieht sie in die Städte, erkundet Land und Leute und hat viel herausgefunden über die englische Trutzburgmentalität oder das Prinzip des „muddling through“, des Sich-Durchwurschtelns, das sie ganz sympathisch findet, so lange es nicht gerade eine ganze Regierung mitten in einer politischen Krise befällt. Denn der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, war der Auslöser für ihr Buch, das sie auch als Selbsttherapie versteht: „Ich habe es geschrieben, um den Schock zu verdauen.“

Wie ist das so „als Deutsche auf der Brexit-Insel“ (Buchtitel) – seltsam, sagt Annette Dittert, es sei wie ein Schatten, der immer über einem hänge. Einige ihrer Freude hätten die Insel schon verlassen, weil sie für sich und ihre Kinder keine Perspektive sahen. Auch sie selbst wisse noch nicht, wie ihr Status sein wird, wenn sie einmal nicht mehr durch einen deutschen Arbeitsvertrag „safe“, also sicher ist. Verlassen wolle sie London nicht, spüre aber schon ein Unbehagen, bald nicht mehr so selbstverständlich dazu zu gehören. Als sie am 24. Juni 2016 von dem Ergebnis des Referendums erfuhr, habe sie einen Tulpenstrauß mit einem Zettel vor ihrer Tür gefunden: „Please don’t go – bitte geh nicht“ habe darauf gestanden.

Fühlt Britannien, die alte Seefahrernation, sich am Ende in unruhigen, unberechenbaren Gewässern lebendiger und wohler als mit einem festgefügten EU-Regelwerk? Brexit-Befürworter haben diese Theorie im Gespräch mit ARD-Korrespondentin Dittert vertreten. Die aber erlebt täglich, wie der Brexit Freunde und Nachbarn auseinander bringt, und kann in keinem politischen Lager einen Willen zum Verleib des Landes in der EU erkennen – ungeachtet des wackeligen Friedens in (Nord-)Irland und der Unabhängigkeitsbestrebungen im EU-zugewandten Schottland. „Da kommt noch eine ganz große Welle im nächsten Jahr“, ist Annette Dittert sicher. Sie ist dann längst wieder im geliebten London und (ab Januar 2019) TV-Korrespondentin und Leiterin des dortigen ARD-Studios.

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