Wülfrath Sternstunde im Zeittunnel

Wülfrath · Das Publikum muss 20 Minuten auf Judith Schalansky warten. Doch dann fasziniert die Autorin mit der Lesung aus ihrem "Atlas" die Zuhörer. Die Veranstaltung gehört zur Neanderland Biennale.

 Judith Schalansky liest im Zeittunnel aus ihrem Buch "Atlas der abgelegenen Inseln".

Judith Schalansky liest im Zeittunnel aus ihrem Buch "Atlas der abgelegenen Inseln".

Foto: Achim Hüskes

Das Glück hängt bisweilen von wenigen Minuten ab. Im Zeittunnel, wo als Veranstaltung der Neanderland Biennale die Schalansky-Lesung, "Atlas der abgelegenen Inseln", stattfinden sollte, hätten sich die Glücksmomente im Vorhinein fast schon in nichts aufgelöst. Weil Judith Schalansky nach gebührlichem Warten nicht erschien und auch nicht zu erreichen war, war Zeittunnel-Leiterin Andrea Gellert kurz davor, den Termin abzusagen und den 25 Besuchern den Eintritt zurückzuerstatten.

"Die Berlinale-Veranstaltungen in Wülfrath stehen unter keinem guten Stern. Wegen des Gewitters musste das Open-Air-Theater abgebrochen werden und nun kommt die Autorin nicht. Ich bin enttäuscht." Dann plötzlich kam die Autorin doch — wegen eines zeitlichen Missverständnisses später, aber zum Glück nicht zu spät.

Und was sind schon gut 20 Minuten im Vergleich zu den Tagen und Wochen, die Seefahrer hungernd und dürstend erlebten, während sie auf der Suche nach irgendeinem Eiland durch den Indischen Ozean schipperten — wie es in einer Beschreibung hieß. Schalansky bescherte den Zuhörern eine Sternstunde. Kenner der meist kühlen Örtlichkeit Zeittunnel kamen bereits in dicker Kleidung. Den anderen, wie auch der Autorin, bot Gellert wärmende Decken an.

Insel der Enttäuschung

Judith Schalansky, die für ihren liebevoll gestalteten "Atlas" unendlich viele Geschichten über "50 Inseln, auf denen ich nie war und nie sein werde" recherchierte, entführte in vergangene Jahrhunderte, auf Schatz- und Sträflingsinseln, zu Entdeckern, Abenteurern, Piraten, Sklaven. Über den Stillen Ozean, auf der Suche nach den Gewürzinseln ging es mit Magellan (1518-20) zur Insel der Enttäuschung.

Es mangelte an Schiffs-Proviant. Die Besatzung erledigte Ratten. Um die Männer nicht zu Kannibalen werden zu lassen, ließ Magellan Verstorbene schnell in Segeltuch gehüllt ins Meer werden. Auf der kleinsten, ein Quadratmeter großen Insel Tromelin ließen gestrandete französische Seeleute 60 Sklaven zurück, nachdem sie selbst in einem selbst gezimmerten Not-Schiff auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

Auf Landkarte die Welt erkundet

Ihrem fasziniert lauschenden, begeisterten Publikum erzählte die gelernte Kartografin, geboren 1980 in Greifswald, wie sie als Kind mit dem Finger auf der Landkarte die Welt erkundete. "Ein Atlas ist ein poetisches, aber auch ein politisches Buch", sagte sie. So habe es sie überrascht, dass die bei den Olympischen Spielen in Seoul so siegreiche DDR auf der Karte so klein war.

"Erstaunlicherweise war der Falz im Buch genau zwischen DDR und BRD, und zwar so dass ein Stück BRD im Falz verschwand", lächelte sie feinsinnig. Sie berichtete, dass ihr Buch inzwischen auch in den USA erschienen sei. Davon angeregt habe ein Amerikaner bereits 28 Inseln bereist. Er nenne sich "The most traveled man".

(rmg)
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