Interview mit Martin Warmbier „Wir können die Spieler nicht erziehen“

Hilden/Mettmann · Vor allem im Jugendfußball kommt es immer wieder zu Ausschreitungen mit Polizeieinsätzen. Martin Warmbier (36) ist Schiedsrichter-Obmann für den Kreis Düsseldorf. Im RP-Interview fordert er Verband und Vereine auf, den Schiedsrichtern zu helfen.

 Martin Warmbier ist seit 1995 Schiedsrichter. Als Obmann unterstehen ihm 150 Schiedsrichter im Kreis Düsseldorf.

Martin Warmbier ist seit 1995 Schiedsrichter. Als Obmann unterstehen ihm 150 Schiedsrichter im Kreis Düsseldorf.

Foto: Staschik, Olaf

Herr Warmbier, wie lange liegt der letzte Zwischenfall bei einem Spiel zurück, zu dem die Polizei anrücken musste?
Martin Warmbier Wir hatten im Kreis Düsseldorf vor zehn Tagen ein Spiel der A-Jugend. Da hat eine Mannschaft die Polizei gerufen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlte. Es waren etwa zehn bis 15 Polizisten vor Ort.

Was ist passiert?
Warmbier Unter anderem ist ein Schiedsrichter-Assistent von einem Zuschauer bespuckt worden. Das Problem bei Jugendspielen ist oft, dass sie durch Dinge von außen beeinflusst werden. Da kann das Spiel noch so ruhig verlaufen, denn was da häufig von Zuschauern, Begleitern und Eltern für ein Feuerwerk abgebrannt wird, ist wirklich erschreckend.

Welche Möglichkeit hat der Schiedsrichter, darauf zu reagieren?
Warmbier Er kann versuchen, an die Vereine und die Beteiligten heranzutreten. Da gibt es ja auch Richtlinien, die Vereine verpflichten, für Ruhe auf dem Platz und daneben zu sorgen. Der Schiedsrichter an sich ist da recht hilflos, das ist leider so.

Macht es Ihnen denn überhaupt noch Spaß, an den Wochenenden Spiele zu leiten?
Warmbier Wir reden ja jetzt nicht von jedem Spiel, bei dem etwas passiert. Und je höher die Spielklasse, desto seltener kommt es zu solchen Zwischenfällen.

Bei welcher Liga fängt das Problem denn an und wo hört es auf?
Warmbier Ab der Bezirksliga hat man das Problem eigentlich nicht mehr. In der Kreisliga A ist es auch noch okay, aber alles darunter ist schwierig.

Vor allem die Jugendmannschaften scheinen in letzter Zeit immer wieder Probleme zu machen.
Warmbier Ich stelle schon eine klare Tendenz fest, dass es bei der Jugend heftiger geworden ist, das stimmt. Das betrifft aber weniger die Spieler als vielmehr die Eltern. Was die sich teilweise jugendlichen Schiedsrichtern gegenüber rausnehmen, ist schon sehr schlimm.

Wird da auch körperliche Gewalt angedroht?
Warmbier Das ist auch verstärkt zu beobachten, ja. Zuschauer haben zuletzt einem 14-jährigen Schiedsrichter damit gedroht, ihn nach dem Spiel zu erwürgen. Da muss man sich wirklich fragen, was in diesen Menschen vorgeht.

Was veranlasst Spieler und Zuschauer dazu, so aggressiv auf den Schiedsrichter zu reagieren?
Warmbier Ich glaube, dass viele Spieler gar nicht mehr denken. Da legt sich ein Schalter um und dann setzt das normale Denken aus, auch bei Eltern. Die gehen auf den Platz und dann zählt für sie nur noch das Spiel. Das war früher in der Stärke nicht zu beobachten. Es ist natürlich auch so, dass viele Spieler aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommen, vielleicht auch mehr als früher. Da sind viele Vereine offenbar auch überfordert, diese Spieler zu integrieren.

Fühlen Sie sich als Schiedsrichter dann in gewisser Weise auch dafür verantwortlich, diese Spieler zu erziehen?
Warmbier Wir stehen ja auf dem Platz, um Strafen auszusprechen. Das mögen vorher alle anderen verpasst haben. Da ist der Schiedsrichter durchaus Erziehungsperson. Und das kann nicht sein. Da ist der Verband gefordert.

Wie kann der Ihnen helfen?
Warmbier Der Dialog zwischen Schiedsrichtern und Mannschaften muss besser werden. Die Spielführer und die Schiedsrichter sollten sich zusammensetzen und zum Beispiel durch Workshops das Bewusstsein schärfen, wer da eigentlich auf dem Platz vor ihnen steht.

Was können denn Vereine tun?
Warmbier Ich fordere, dass sie mehr Schiedsrichter aus ihrem eigenen Vereinsumfeld ausbilden. Das betrifft vor allem höherklassige Mannschaften aus der Oberliga Niederrhein, die sich dieser Verantwortung nicht länger entziehen können. Ideal wäre, wenn die Schiedsrichter selber Fußball gespielt haben. Das ist auch eine Frage der Akzeptanz, wenn den Spielern jemand gegenübersteht, der selbst aktiv war und den sie kennen.

Haben Sie als Schiedsrichter-Obmann auch die Möglichkeit, durch Ansetzungen auf Risikospiele zu reagieren?
Warmbier Ja, natürlich. Wir sammeln elektronisch die Daten von den Partien und wer sie geleitet hat. Dann schauen wir, ob es dort zu Problemen gekommen ist, und entscheiden dann, wer das Spiel leitet. Letztens haben wir zum Beispiel auch über Facebook erfahren, dass es bei einer Partie zu Problemen kommen könnte. Dann haben wir darauf reagiert.

Stehen Ihnen denn überhaupt genügend Schiedsrichter zur Auswahl, um bei Problemen entsprechend reagieren zu können?
Warmbier Vor fünf Jahren hatten wir noch 220 Schiedsrichter, heute sind es 150. Es könnte also bald passieren, dass in der Kreisliga A keine Schiedsrichter mehr zur Verfügung stehen.

Stichwort Schiedsrichter-Nachwuchs. Wie schwer ist es angesichts der Probleme, junge Menschen für das Pfeifen zu gewinnen?
Warmbier Es gibt ja auch schöne Seiten. 99 Prozent der Fälle sind ja schmerz- und stressfrei. Und die Tätigkeit als Schiedsrichter hilft einem auch bei der Persönlichkeitsentwicklung enorm weiter. Ich habe da früher schüchterne kleine Jungs auf dem Platz gesehen, das sind heute richtige Persönlichkeiten, weil sie gelernt haben, sich durchzusetzen. Der finanzielle Anreiz ist natürlich nicht gegeben. Ein Jugend-Schiedsrichter geht nach einem Wochenende mit 16 Euro vom Platz.

In der Oberliga wurde zuletzt bei der Partie Wuppertaler SV gegen die SF Baumberg das Heimrecht getauscht, weil die Polizei Sicherheitsbedenken hatte, das Spiel in Baumberg austragen zu lassen. Was halten Sie von der Entscheidung?
Warmbier Aus polizeilicher Sicht ist das sicherlich vernünftig gewesen. Aus sportlicher Sicht ist das eine Katastrophe.

Und aus der Sicht des Schiedsrichters?
Warmbier In Wuppertal zu pfeifen, ist immer eine Herausforderung. Aber das kann natürlich nicht die Regel werden.

Christian Buhl führte das Gespräch

(RP)
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