Kreativ über Hindernisse

Ein Franzose gilt Ende der 80er Jahre als Erfinder der Sportart, die Koordination, Schnellkraft und Beweglichkeit fördert und immer mehr Anhänger findet. Allerdings heißt es auch hier: Erst die Übung macht den wahren Meister. Regelmäßiges Training ist deshalb notwendig.

 Torben Bagusat springt hinauf zur Sprossenwand.

Torben Bagusat springt hinauf zur Sprossenwand.

Foto: Olaf Staschik (3)

Hilden Ihr Blick fixiert das Hindernis. Michelle Haupt läuft in fünf langen Schritten an, springt kraftvoll ab, stützt sich mit beiden Armen auf der weichen Lederbespannung des Kastens auf, drückt die Ellenbogen durch und lässt ihre Beine waagerecht durch die Luft fliegen. Dumpf kommen die Sohlen ihrer Turnschuhe auf der anderen Seite auf. Mit dem nächsten Schritt überwindet sie leichtfüßig die Lücke zu dem kleinen Kasten vor ihr. Mit einem Sprung landet sie auf dem nächsten und übernächsten, läuft weiter, überwindet die Bank, die schräg an der Sprossenwand lehnt, schlägt ein Rad über den großen Kasten an der Fensterfront und lässt sich weich vom Mattenboden auffangen.

Außer Atem greift das Mädchen in der lässigen Sportkleidung zur Wasserflasche. Ihre dunklen Haare hat sie zum Pferdeschwanz zusammengebunden und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die 13-Jährige ist das einzige Mädchen unter den zwölf Workshopteilnehmern, die in der Halle der Wilhelm-Fabry-Realschule Le Parkour trainieren. Einige wirken schon sehr routiniert, bei anderen sind die Bewegungen noch etwas eckig, wenn sie die Hindernisse in der Halle überwinden. "Seit drei Monaten mache ich beim TuS Hilden Le Parkour", berichtet Michelle Haupt. Ein Freund nahm sie zum Training mit. "Es macht Spaß, weil jeder sein eigenes Ding machen kann. Niemand muss einem vorgegebenen Ablauf folgen, sondern kann sich seinen Weg suchen."

"Aufpassen! Einige laufen schon Kombinationen. Achtet darauf, dass ihr niemanden blockiert", ruft Trainer Pablo Giese den Jugendlichen zu, die an Holmen hangeln, über Hindernisse hüpfen oder ihre Technik verbessern. Stetiges Fußgetrappel gibt in der Halle den Ton an. Mit einem satten Klatsch schlagen die Sohlen von Christoph Meichsner auf der glatten Mattenoberfläche auf. Unzufrieden schüttelt der 14-Jährige nach seiner Landung den Kopf. "Je niedriger dein Absprungpunkt ist, umso schneller musst du beim Backflip drehen", rät Pablo Giese, der den Rückwärtssalto aufmerksam beobachtet hat. Der 31 Jahre alte Trainer mit den kurzgeschorenen schwarzen Haaren und der athletischen Statur bekam vom Hildener Jugendparlament den Auftrag, den zweitägigen Workshop durchzuführen.

"Zwei unserer Parlamentarier haben die Sportart beim Landestreffen der Kinder- und Jugendgremien kennengelernt und waren sofort begeistert. Da wir im Olympiajahr die Jugendlichen in Bewegung bringen wollen, haben wir Kontakt zu Pablo aufgenommen", sagt Andrea Nowak. Die Koordinatorin des Jugendparlamentes beobachtet begeistert die katzenhafte Geschmeidigkeit, mit der einige Aktive die Hindernisse in der Halle hinter sich lassen.

Torben Bagusat schwingt seine Beine seitlich über die hölzernen Kastenelemente und kommt auf der anderen Seite stumpf auf. Er stockt und schaut Pablo Giese fragend an. "Spring nicht so, dass du auf dem kleinen Kasten landest, sondern, dass du weiterlaufen kannst. Dazu brauchst du einen halben Schritt mehr Energie", sagt der Trainer und setzt sein rechtes Bein nach vorne, um seine Worte zu unterstreichen. Torben läuft erneut an, springt, federt den Schwung diesmal im Knie ab, dreht sich und hüpft mit dem nächsten Schritt auf das Kastenelement vor ihm. "Viel besser!", lobt Giese und lächelt den hochgewachsenen Jungen mit dem blauen Trikot aufmunternd an.

"Die Gruppe hat ein sehr unterschiedliches Niveau. Einige haben schon Routine und wollen hier ihre Technik verbessern, andere haben gerade erst mit Le Parkour angefangen", sagt Pablo Giese. Ihm ist wichtig, dass sich die Sportler nicht mit anderen, sondern mit ihrer eigenen Leistung vor einer Stunde vergleichen. "Sie sollen vor allem erfahren, dass ihre körperlichen Grenzen deutlich weiter liegen, als sie glauben." Der Sport fördert Koordination Beweglichkeit und Schnellkraft. "Nichts von den Techniken ist eigentlich neu. Rund 70 Prozent kommen aus dem Turnen, die übrigen 30 Prozent basieren auf Tanz, Akrobatik und Kampfkunst", sagt der Trainer. Er ist fasziniert von der Motivation der Jugendlichen. "Sie haben sich zwei Tage lang sechs bis acht Stunden intensiv mit den Inhalten beschäftigt und dabei eine enorme Ausdauer bewiesen."

Den Blick konzentriert nach vorne gerichtet, nimmt Michelle Haupt Anlauf. Mit zwei großen Schritten ist sie auf dem Kasten, springt auf den unteren Holm des Stufenbarrens, lässt sich nach vorne fallen, umfasst mit den Händen den zweiten Holm, schwingt mit den Füßen durch und kommt weich auf der Matte auf.

(domi)
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