Blindenfußball Für Blinde ist ein Übersteiger brotlose Kunst

Hochdahl · Der deutsche Nationalspieler Daniel Hoß gibt den U15-Mädchen und den U19-Jungen des SC Rhenania Hochdahl im Training eine eindrucksvolle Einführung in den Blindenfußball. Sehende Kicker können von der beeindruckenden Geschicklichkeit blinder Fußballer lernen.

 Die Hochdahler Mädchenmannschaft trainiert mit Brillen, die das Blindsein simulieren.

Die Hochdahler Mädchenmannschaft trainiert mit Brillen, die das Blindsein simulieren.

Foto: Achim Blazy (abz)

Skeptisch nähern sich die U19-Jungen des SC Rhenania Hochdahl dem mit magentafarbenen Banden abgetrennten Spielfeld auf dem Sportplatz an der Grünstraße. Es ist Freitagabend, die letzte Trainingseinheit vor dem zweiten Corona-Lockdown und die jungen Herren wissen offenkundig nicht, was sie an diesem Abend erwartet. Ihr Trainer Christian Schumacher, der zugleich Jugendleiter im Hochdahler Verein ist und diese besondere Trainingseinheit der Deutschen Telekom für den SC einstielte, hat nur wenige Infos durchsickern lassen und freut sich umso mehr auf die Reaktion seiner Schützlinge. „Das wird eine komplett neue Sporterfahrung für sie“, prophezeit Schumacher.

Mitten auf dem Feld steht Blindenfußballer Daniel Hoß mit Schalke-Cappy auf dem Kopf bereit und begrüßt die Mannschaft. Im Schatten des Visiers ist gar nicht zu erkennen, dass der gebürtige Wuppertaler die Augen geschlossen hat. Er ist seit seiner Geburt blind, erklärt er den jugendlichen Fußballern. Ein klares Handicap, aber kein Grund, seiner sportlichen Leidenschaft nicht nachzugehen, versichert er den aufmerksam zuhörenden, aber offenkundig ungläubigen U19-Spielern.

Um den Ball ohne Augenlicht übers Feld zu manövrieren und treffsicher ins Netz zu schießen, verlässt sich der 33-Jährige auf sein Gehör, das in diesem Fall wie ein Kompass funktioniert. Im etwas anderen, kleineren Fußball raschelt es, sodass Hoß zu jeder Zeit weiß, wo sich der Ball befindet. Hinter dem Tor, erklärt er weiter, befindet sich beim Blindenfußball ein sogenannter Guide, der über seine Stimme den Blindenfußballern eine Orientierung bietet, in welche Richtung sie sich bewegen und wohin sie schießen müssen. Auch die Gegenspieler machen sich über den Ausruf „voy“ (spanisch: „ich gehe“) aufmerksam.

Als die Technik erklärt ist, geht es endlich ans Eingemachte: Die Fußballer teilen sich in zwei Gruppen auf und erhalten eine Art große Skibrille, mit der sie nichts mehr sehen können. Die erste Übung: Eine lustige Polonaise, zumindest für die Zuschauer, die das unbeholfene Spektakel der Jungs beobachten. Sie stellen sich auf und halten sich an den Schultern ihres Vordermannes fest. Alle haben die Brille auf der Nase, außer dem Letzten in der Schlange. Er ist der Steuermann und muss seine Gruppe durch das Feld navigieren. Die Richtung weist er ihnen an, indem er die linke oder rechte Schulter seines Vordermannes berührt. Das Signal muss bis an den Kopf der Schlange durchkommen, erst dann kann der Erste in der Reihe die Richtung des menschlichen Zuges ändern.

Zuversichtlich und schmunzelnd starten die Jungs in den beiden Gruppen in die Challenge, um daraufhin schnell festzustellen, dass es gar nicht so einfach ist. Mehrfach krachen die beiden Züge ineinander, was lautes Lachen beim Trainer auslöst. So unkoordiniert und hilflos hat Schumacher sein Team schon lange nicht mehr gesehen. Doch nach einigen Minuten sieht das Ganze schon ganz anders aus. Die Spieler scheinen sich an die neue Situation gewöhnt und eingespielt zu haben. Nahezu problemlos bewegen sich die beiden Züge durchs Feld. Zeit also für die nächste Übung, befindet Chefcoach Hoß.

Beim Dribbling müssen die Kicker beweisen, ob ihre Sinne scharf genug sind, um den Ball bis vors Tor zu bringen und dann hinein zu schießen. „Mach einen Übersteiger“, fordert einer der Jungs seinen Teamkollegen am Ball von der Bande aus auf. Hoß horcht auf. „Was soll ein Übersteiger im Blindenfußball bringen“, fragt er. Der Mannschaft geht plötzlich ein Licht auf. Sie müssen lachen. Tricks und „Jogo bonito“ bringen in dieser Sportart nämlich überhaupt nichts. Effektiv muss es sein und das klappt hier, wie übrigens auch im normalen Fußball, durch Kommunikation und Koordination.

 Daniel Hoß.

Daniel Hoß.

Foto: Achim Blazy (abz)

Diese Erkenntnis nehmen auch die Spielerinnen der U15 nach dieser Trainingseinheit mit. „Das war schon sehr interessant“, sagt die 13-jährige Amelie. „Gelernt habe ich aus dieser Erfahrung, dass wir, egal wie schwierig etwas zu sein scheint, es doch machen können, wenn wir uns anstrengen.“

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