Reiten Die Pferde-Fühlerin

Der Reitsport ist verbreitet in der Region. Der 18-jährige Wallach Fuchur hat eine Unart: Er lässt seine Zunge heraushängen. Pferde-Osteotherapeutin Vera Bude sucht und findet die Ursache.

Fuchur ist ein 18-jähriger brauner Wallach und wird freizeitmäßig Western geritten. Seit einigen Wochen zeigt er eine Auffälligkeit: er schiebt seine Zunge in voller Länge aus dem Maul und lässt sie draußen hängen. Zunge, Zähne und Maul wurden bereits durch einen Tierarzt untersucht. Hat sich Fuchur lediglich eine Unart angewöhnt, oder klemmt vielleicht doch irgendwo etwas ? Zur Beantwortung dieser Frage wird Vera Bude hinzugezogen. Sie ist Pferde-Osteotherapeutin.

"Wo ist der Patient ?"

Vera Bude kommt auf den Hof gefahren und fragt: "Wo ist denn der Patient ?" Der steht bereits gestriegelt am Putzplatz parat. Die Pferde-Osteotherapeutin begrüßt Fuchur freundlich, indem sie ihm den Hals klopft und mit leiser Stimme mit ihm spricht. Danach beginnt die Behandlung. Zuerst soll der Wallach "geschlossen" stehen, das heißt die Vorder- sowie die Hinterbeine sollen parallel nebeneinander stehen. Vera Bude schaut sich das Pferd von allen Seiten genau an, um sich ein Bild vom gesamten Körperbau sowie der Muskulatur zu machen.

Danach ist Bewegung angesagt: Auf ebenem Untergrund wird der Braune im Schritt von der Therapeutin weg und wieder auf sie zu geführt. Hierbei erkennt sie, ob der Wallach "in der Spur läuft" und nicht schief oder schwankend geht. In der Halle wird Fuchur an der Longe in den drei Gangarten Schritt, Trab und Galopp vorgestellt. Der Wallach schnaubt entspannt. "Im Schritt kann man die Muskulatur am besten arbeiten sehen", klärt Vera Bude auf und stellt der Pferdebesitzerin allgemeine Fragen zum Reitverhalten, ob die Zähne regelmäßig vom Fachmann kontrolliert werden und in welchen Abständen der Hufbeschlag erfolgt.

Jetzt legt die Therapeutin Hand an: Sie erfühlt die Muskulatur entlang der Wirbelsäule. Vera Bude hat einen Behandlungsweg von etwa zwei Metern vor sich. Dabei ertastet sie mögliche Verspannungen oder Blockaden. Fuchur genießt die Berührungen und lässt zufrieden den Kopf hängen.

Hinter dem Zungenstrecken vermutet Vera Bude Probleme in der unteren Zungenmuskulatur oder Blockaden der Kiefergelenke. Sie widmet sich deshalb intensiv den Muskeln und Gelenken im Kopfbereich des Pferdes. Sie stellt fest, dass die Kaumuskulatur bei Fuchur ausgezeichnet ist. Was niemanden wundert, denn Fressen ist sein größtes Hobby. Auch mit seiner unteren Zungenmuskulatur ist die Therapeutin zufrieden. Als Vera Bude den Akupunkturpunkt für das linke Kiefergelenk benutzt, reagiert Fuchur heftig: Er legt die Ohren an und versucht durch Rückwärtsgehen zu entweichen. Das linke Kiefergelenk weist eine Blockade auf. Mit geübten Fingertechniken löst Vera Bude diese Blockade — unter Fuchurs heftigen Protesten. Dann stellt sie sich seitlich zum Pferd und zieht sanft den Pferdekopf zu sich — das dient zur Dehnung der Halswirbel. Da Fuchur nicht stehen bleibt, hilft sich Vera Bude damit, indem sie das Vorderbein aufnimmt und dann den Kopf zu sich zieht. Fuchur ist ausgetrickst.

Im nächsten Untersuchungsschritt stehen die Bauch- und Rückenmuskulatur an. Dazu streicht die Therapeutin mit den Fingerkuppen an der Bauchmuskulatur entlang und will erreichen, dass das Pferd den Rücken wölbt. Dann kann Vera Bude die einzelnen Dornfortsätze auf ihre Lockerheit überprüfen. Diese Übung gefällt Fuchur überhaupt nicht und er tritt nach hinten aus. Kommentar von Vera Bude: "Bauchmuskeln anspannen findet er doof !"

Griff in die Trickkiste

Auch hier greift die Therapeutin in die Trickkiste: Die Fingerkuppen werden durch einen stumpfen Holzstab ersetzt. Darauf reagiert Fuchur noch heftiger: Er legt die Ohren an, beißt um sich und versucht rückwärts auszuweichen. Auf die Frage, ob denn alle Patienten so heftig seien, erwidert Vera Bude: "Im Gegenteil. Pferden, denen es richtig schlecht geht, merken, dass ihnen die Behandlung gut tut und bleiben entspannt stehen." Da der Wallach die Bauchberührungen nicht mag, setzt Vera Bude auf andere Reflexpunkte. Diese befinden sich auf der Pferdekruppe und verlaufen entlang der Schweifrübe. Gezielt setzt die Therapeutin den Holzstab an. Und siehe da, ohne zu zicken wölbt der Wallach den Rücken. "Ich muss schon Schwerstarbeit verrichten, damit Fuchur die Rückenmuskulatur einsetzt."

Jetzt stehen die Schweifrübenwirbel an. Vera Bude tritt hinter das Pferd, umfasst die Schweifrübe und zieht sie sanft nach allen Seiten. Nach der ausführlichen Wirbelsäulenuntersuchung erhält die Besitzerin eine erste Diagnose: Das Kreuzbeindarmgelenk (Verbindung der Wirbelsäule zum Becken) ist leicht nach rechts gekippt. Sichtbar wird das dadurch, dass Fuchur den Schweif nach rechts gebogen trägt und er sich rechts herum auch schwerer reiten lässt.

Beweglich für einen "alten Herrn"

Zu guter Letzt untersucht Vera Bude noch die Pferdebeine. Dazu hebt sie jedes Bein auf und dehnt es angewinkelt nach vorne, nach hinten und zur Seite. Sie bewegt die einzelnen Gelenke und befühlt die untere Beinsehne. "Für einen Herrn seines Alters hat Fuchur erstaunlich bewegliche Gelenke", stellt Vera Bude fest. Fuchur spitzt zur Abwechslung mal die Ohren: Hat ihn da jemand gelobt ?

Zum Abschluss überprüft Vera Bude noch die Lage des Sattels und das Trensengebiss. Nach rund zwei Stunden ist die Behandlung beendet — und Fuchur kann wieder zu seinen Kumpels.

(RP)
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