Nach dem Aufmarsch der Neonazis in Mettmann Um den Bürgermeister wird es einsam

Mettmann · Analyse Das Verhalten des parteilosen Bürgermeisters wirft einen Blick auf strukturelle Schwächen: Es scheint keine Vertrauten zu geben – und die Politik übt trotz aller Differenzen immer häufiger in gemeinsamen Aufrufen den Schulterschluss.

 Mettmanns Bürgermeister Thomas Dinkelmann steht in der Kritik, über die Nazi-Demo nicht informiert zu haben.

Mettmanns Bürgermeister Thomas Dinkelmann steht in der Kritik, über die Nazi-Demo nicht informiert zu haben.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Anhänger einer als rechtsextrem eingestuften Partei haben am vergangenen Samstag in Mettmann demonstriert, und keiner hat’s gewusst. Über Bürgermeister Thomas Dinkelmann ist deswegen in dieser Woche ein wahrer Shitstorm hereingebrochen, da er als Eingeweihter niemanden sonst über die bevorstehende Kundgebung informiert hat. Damit wurde eine Chance vertan: Die Bürger hätten gerne ein Zeichen gesetzt, damit sich rechtsextreme Kräfte in Mettmann nicht willkommen fühlen. Das ist absolut legitim und nachvollziehbar. Doch der Fall hat noch viele weitere Facetten.

Hätte der Bürgermeister die Öffentlichkeit informieren sollen? Jein. Instrumente, die der Stadtverwaltung im Regelfall via Pressemitteilung und Facebook zur Verfügung stehen, wären in diesem Falle das falsche Mittel der Wahl gewesen. Denn nach wie vor sind die Sicherheitsbedenken nicht auszuräumen. Die Information hätte nicht ungefiltert auf allen Kanälen hinausposaunt werden dürfen. Das ist zunächst einmal kein Misstrauensvotum des Bürgermeisters gegen die Mettmanner Bevölkerung: Gewaltbereite Links- wie Rechtsextreme sind Touristen, Reisende, die Anlässe zu Ausschreitungen suchen und dazu auch Anfahrten über Hunderte von Kilometern in Kauf nehmen.

Und auch die Erleichterung der Polizei darüber, dass es während der Demonstration nicht zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen ist, ist in diesem Zusammenhang gut zu verstehen. Auch unter den Polizisten sind Menschen aus unserer Stadt, unserer Region, deren Familien erleichtert waren, dass sie an diesem Abend wohlbehalten zu ihnen zurückkehrten.

Wäre also gar keine Information möglich gewesen? Doch. Es gibt nicht nur ein „Ja“ oder „Nein“, „Schwarz“ oder „Weiß“, sondern auch die Klaviatur der leisen, diplomatischen Töne. Ein Bürgermeister, überhaupt ein Mensch an der Spitze, muss Vertraute, Berater haben. Führung ist niemals nur eine One-Man-Show. Fraktionsvorsitzende und ein Pfarrer zumal kennen die Regeln der Diskretion. Sie hätten ins Vertrauen gezogen werden können. Ein „Fallenlassen“ der Information bei Vertrauten, von denen man weiß, dass sie damit vernünftig umzugehen wissen, wäre möglich gewesen.

Doch zurzeit wirkt es so, als würde der Unabhängige zum Einzelgänger. Mettmanns Bürgermeister ist parteilos. In der heutigen Zeit wird Parteilosen aufgrund ihrer Unabhängigkeit und angesichts des Misstrauens gegen alles Etablierte gerne ein Vertrauensvorschuss entgegen gebracht. Der aber verbraucht sich zurzeit, da viele Bürger damit zugleich Bürgernähe verbinden – und diese jetzt extrem vermissen. Als Parteiloser kann der Bürgermeister nicht auf einen Parteiapparat, also auf ihm Nachgeordnete außerhalb des Rathauses zurückgreifen. Er hat keine Sprecher, die für ihn die Stimme erheben, er muss selber sprechen – oder stillschweigen, wenn es aus seiner Sicht keine Vertrauten gibt.

Es ist ganz und gar außergewöhnlich, dass sich in einer Stadt die Fraktionsvorsitzenden zu gemeinsamen Vorstößen zusammenschließen, sind sie doch eigentlich darauf bedacht, ihr politisches Profil über die Auseinandersetzung zu schärfen. In Mettmann aber haben sich nun schon mehrfach die Fraktionsvorsitzenden zu gemeinsamen Anträgen oder Aufrufen verbündet. Entsteht hier ein Graben zwischen Politik und Bürgermeister? Das wäre eine bedenkliche Entwicklung. Ein Bürgermeister muss nicht nur Führungskraft, sondern auch Vermittler sein. Er muss verhandeln, Kompromisse suchen, moderieren zwischen den politischen Kräften, aber auch zwischen Verwaltung und außerbehördlichen sowie unpolitischen Gruppen und Initiativen. Das aber vermissen viele Menschen in zunehmendem Maße, allen voran die Werbegemeinschaft Mettmann-Impulse. Zugleich schwindet die Unterstützung so manchen Wählers, da der Bürgermeister die suggerierte Bürgernähe nicht einhält – sie teilweise aber auch aufgrund politischer, verwaltungsrechtlicher oder bürokratischer Zwänge nicht einzuhalten vermag.

Hätte der Bürgermeister selbst am Tag der Demonstration ein Zeichen setzen müssen? Ja. Einfach nur hingehen und gucken und dann wieder weggehen ist kein Zeichen. Wobei dem „Zeichensetzen“ eines Bürgermeisters Grenzen auferlegt sind: Einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zufolge hätte Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel nicht dazu aufrufen dürfen, an einer Kundgebung gegen die islamfeindliche Demonstration der „Dügida“ im Januar 2015 teilzunehmen. Auch mit seiner Aktion „Lichter aus“ habe Geisel rechtswidrig gehandelt, so das höchstrichterliche Urteil. Doch darum geht es vielleicht gar nicht: Es geht darum, Gesicht zu zeigen. Da zu bleiben. Auszuhalten. Den wenigen versprengten Gegnern im wahrsten Sinne des Wortes beizustehen. Vom Anfang bis zum bitteren Ende.

Es gibt sogar schon den Ruf nach einem Rücktritt. Die Mettmanner sollten sich überlegen, ob das das richtige Mittel der Wahl ist. Mit diesem Ruf wird ein demokratisch gewählter Bürgermeister demontiert, weil sich undemokratische Kräfte einen Raum suchten. Der Bürgermeister wurde zur Kundgebung eingeladen. Ihn in die Bewegung zu integrieren, ist genau der richtige Weg.

Aber die Kundgebung am Samstag kommt zu spät. Die Chance, den rechtsextremen Kräften Auge in Auge gegenüberzustehen, ist zum Bedauern vieler verstrichen. Das ist richtig. Dennoch ist die Veranstaltung am Samstag von großem Wert: Die Mettmanner können auch jetzt noch öffentlichkeitswirksam zeigen, dass sie diese Umtriebe in ihrer Stadt nicht dulden. Sie haben immer noch die Chance, sich als Stadt der Vielfalt und Toleranz darzustellen: Mettmann ist bunt. Das galt nicht nur am vergangenen Samstag und das gilt nicht nur am kommenden Samstag – sondern immer.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort