75 Jahre Kriegsende in Mettmann Der Tag, an dem die Amerikaner kamen

Mettmann · Vor 75 Jahren kapitulierte Mettmann im Zweiten Weltkrieg. Ein Mosaik aus Berichten verstorbener und eines lebenden Zeitzeugen.

 Zeitzeuge Heinz Haase (92) denkt zurück an die 1940er Jahre und hat seine Erinnerungen in Fotoalben festgehalten.

Zeitzeuge Heinz Haase (92) denkt zurück an die 1940er Jahre und hat seine Erinnerungen in Fotoalben festgehalten.

Foto: "Köhlen, Stephan (teph)"/Köhlen, Stephan (teph)

„Es sah aus, als ob es in Mettmann geschneit hätte. Alles und überall, in, auf und an war weiß, weiß, weiß, endlos weiß.“ So beschreibt C. N. Marée den 16. April 1945 in Mettmann. Es hat nicht geschneit, es ist auch nicht der Staub der Trümmer, den der damalige Zwangsarbeiter aus den Niederlanden beschreibt. Es sind weiße Fahnen, Tücher und Laken, die an den Mettmanner Häusern hängen. In einem Brief an die Bürger- und Heimatvereinigung Aule Mettmanner vor vier Jahren schildert er, wie er den Einmarsch der amerikanischen Truppen erlebte.

Es sind einige der wenigen Überbleibsel, die an den Tag vor 75 Jahren erinnern. Und Heinz Haase, heute 92 Jahre alt, ist einer der letzten lebenden Zeitzeugen, die das Kriegsende in Mettmann miterlebt haben. Haase lebte damals mit seiner Familie im Schwarzwaldhaus im Neanderthal. Dass die Amerikaner bereits im April in Mettmann sein würden, hatte dort zu Beginn des Jahres noch keiner erwartet.

Heinz Haase, damals 17, arbeitete als Koch für die deutsche Wehrmacht. Er versorgte verwundete Soldaten in den durchfahrenden Zügen am Düsseldorfer Hauptbahnhof mit einer warmen Mahlzeit. Doch schon bald sollten die Verwundeten nicht die einzigen Vorboten der nahenden Front bleiben.

Einmal in der Woche traf Haase sich mit Freunden auf einem Bauernhof in Hochdahl. „Von dort aus hatte man eine weite Sicht übers Land, bis in die Eifel“, erzählt er. „Wir haben leuchtende Feuerbälle der Ateliergeschosse über Hürtgenwald in der Eifel gesehen.“

Als dann die Brücke in Düsseldorf Oberkassel gesprengt wurde, um den nahenden Truppen den Weg abzuschneiden, habe er sich die Sprengung persönlich angesehen. „Ich weiß noch, dass ich auf dem Rückweg von Düsseldorf nur Straßen nehmen sollte, in die die Ammis nicht schießen konnten“, erinnert er sich. Er sei durch Nebenstraße und Winkel bis nach Grafenberg gelaufen. Doch dann geriet er ins Visier der amerikanischen Kampfflieger: „Ich bin gehüpft wie ein Hase.“ Doch er hatte Glück und konnte denn Geschossen entgehen.

Als er im Schwarzwaldhaus ankam, informierte er die gesamte Familie. Und er handelte sofort: In den alten Fußkissen seiner Großmutter – Holzgestelle, die zum Füße hochlegen gedacht waren – versteckte Haase Fotoapparat, Fernglas und wichtige Papiere. Er wusste, dass sie diese sonst direkt verlieren würden, wenn die Truppen sie erreichten. Fotos und Andenken hätten sie verbrannt, damit die Soldaten keine Rückschlüsse auf etwaige Verwandte ziehen konnten. „Wir haben eigentlich nur von Mund zu Mund Informationen bekommen. Aber jede Stunde wurde was anderes erzählt“, erinnert sich Haase. Am 16. April erreichte sie schließlich die Nachricht: „Die Amerikaner, sie kommen!“

Ernst Veldung wusste das bereits einige Stunden früher. Er war die letzten fünf Wochen vor Kriegsende als „Hilfssheriff“, wie er seine Position bezeichnet, für die Mettmanner Polizei im Einsatz. In der Ausgabe der Zeitschrift der Aulen Mettmanner Medamana im Jahr 1985 schildert er die letzten Stunden vor Kriegsende. „Strom, Wasser und Gas gab es nur stundenweise. Und Trümmer, Trümmer wo man hinkam.“ Er erzählt, wie sich in der Nacht zum 16. April die Panzerspitze der anrückenden Amerikaner bereits in Gruiten befand. Erzählt, wie er in der Nacht den Sirenenalarm auslöste. Und er erzählt, dass um sechs Uhr in der Früh die Entscheidung des Polizeileutnants feststand: Mettmann würde sich nicht verteidigen. Sie würden kapitulieren.

Die Mettmanner hätten damals mit großer Erleichterung auf die kampflose Übergabe reagiert. Er selbst dachte aber auch über den großen Aufwand nach, mit dem vorab noch die Panzersperren gebaut wurden, um die gegnerischen Truppen abzuwehren. Sie sollten die Straßen der Stadt für die ausländischen Truppen verengen. Eine derartige Sperre habe es beispielsweise an der Breite Straße gegeben, bestehend aus zwei sich gegenüberstehenden Blöcken aus Erde und Baumstämmen. Horst Hütten hat mit Informationen von Veldung die Situation aufgemalt (siehe Zeichnung).

 Die amerikanischen Panzer rollten über den Gruitener Weg und durch den Tunnel am Brücker Berg in die Stadt ein. 

Die amerikanischen Panzer rollten über den Gruitener Weg und durch den Tunnel am Brücker Berg in die Stadt ein. 

Foto: Horst-G. Hütten/Medamana

Doch die Panzersperren wurden nicht geschlossen. „Aus allen Häusern wurden weiße Bettlaken oder Tücher gehängt zum Zeichen der Kapitulation“, berichtet Veldung.

„Schneeweiß“, beschreibt der Niederländer Marée die Stadt. Während Vedlung in den Reihen der Polizei die Szenerie beobachtet, hat sich Marée mit einem Freund in einer Nische versteckt, um den Amerikanern kampflos entgegenzutreten: „Ab und zu schauten wir ganz vorsichtig mal um die Ecke und auf einmal erschien aus dem Tunnel der erste Panzer.“ Marée meint den Tunnel am Brücker Berg. Diese Szene hat der Zeichner der Aulen Mettmanner in einem weiteren Bild festgehalten.

 Nach den Erinnerungen von Ernst Veldung sah so die  Panzersperre an der Breite  Straße aus.

Nach den Erinnerungen von Ernst Veldung sah so die Panzersperre an der Breite Straße aus.

Foto: Horst-G. Hütten/Medamana

Marée erzählt, wie er und sein Freund aus ihrem Versteck traten, sich mit „weißem Zeug“ ergaben. Erzählt, wie sie kontrolliert wurden: „Taschen leer machen, 180 Grad drehen und vorgehen zur Polizei“.

Darunter muss auch Ernst Veldung gewesen sein. Er wiederum beschreibt, dass am Ausgang des Tunnels ein Feuer der Maschinengewehre entbrannte. „Der Staub hatte sich noch nicht verzogen, als ich zwei Männer und eine Frau die Breite Straße entlang kommen sah.“ Darunter sei auch der damalige Bürgermeister Lemke mit weißer Fahne gewesen. Er habe den Amerikanern die kampflose Übergabe der Stadt angeboten.

„Langsam, sehr langsam und vorsichtig ging es voran in die Freiheitsstraße“, schreibt Marée in seinem Brief. Immer mehr Schaulustige seien aus den Häusern gekommen, um das Ganze mitzuerleben – „ganz, ganz, ganz still“.

Veldung hingegen schreibt, dass viele „Fremdarbeiter“ den Einzug der Befreier bejubelt hätten. Schreibt, wie die Panzer mit „lautem Getöse über das Kopfsteinpflaster“ ratterten und die amerikanischen Soldaten jede Bewegung beobachteten.

Doch plötzlich, gerade als die Amerikaner die Gartenstraße erreichten, fiel ein Schuss. Ein amerikanischer Soldat wurde verletzt. Panik breitete sich aus. „Die Amerikaner fühlten sich angegriffen und schossen wild in Richtung der versammelten Polizisten“, erzählt Veldung. „Es sah aus, als ob wir die Amis in einen Hinterhalt locken wollten“, schildert es der Niederländer Marée.

Zwei deutsche Beamte seien beim Schusswechsel verletzt worden. Veldung war nicht darunter. Marée wurde zunächst verhaftet und mit den deutschen Soldaten abgeführt, durfte aber noch am selben Abend nach Hause zurückkehren. „Der Krieg war zu Ende. Es dauerte jedoch noch lange, bevor wir endlich heimwärts gehen konnten“, schreibt Marée, der 2016 im niederländischen Weert lebte und 91 Jahre alt war. Sein Bericht endet hier.

Ernst Veldung erzählt noch von den kommenden Tage nach Kriegsende, wie die Amerikaner Wohnungen beschlagnahmten, an die „endlosen Lastwagenkolonnen mit deutschen Kriegsgefangenen, die durch die ramponierten Straßen der Stadt rollten.“

Auch Heinz Haases Familie verlor etlichen Besitz, doch das Versteck im Fußkissen blieb unentdeckt. Haase habe beim Aufbau geholfen, denn als Koch konnte er lange nicht arbeiten. 1946 eröffnete das Schwarzwaldhaus allerdings wieder: „Zu Trinken gab es zwar nur ein Heißgetränk, nämlich einen warmen Himbeersaft, aber das hat uns gereicht. Die Leute waren einfach froh, wieder ausgehen zu können“, sagt Haase.

Ein anderer Zeitzeuge, dessen Niederschriften im Archiv der Stadt Mettmann liegen, schreibt, dass die Lage nach 1948 mit der Währungsreform besser wurde: „Auf einmal war fast alles wieder zu kaufen.“ Ein Aufschwung habe begonnen, der die Schrecken des Krieges alsbald verblassen ließ.

Er habe versucht das Kriegsende und die Zeit danach kurz darzustellen und endet mit den Worten: „Vielleicht wird es in späteren Zeiten noch einmal von Interesse sein.“ Heute, 75 Jahre später, wissen wir: Er hatte vollkommen recht.

 Der Mettmanner Willi Wintgens verfasste ein Tagebuch über seine Erlebnisse als Soldat an der Front. Auf der Webseite der Aulen Mettmanner kann man seine Einträge lesen.

Der Mettmanner Willi Wintgens verfasste ein Tagebuch über seine Erlebnisse als Soldat an der Front. Auf der Webseite der Aulen Mettmanner kann man seine Einträge lesen.

Foto: Medamana

Tagebuch eines Soldaten Willi Wintgens wurde im Januar 1945 kurz vor Kriegsende an die Ostfront geschickt. Seine Angehörigen haben das Tagebuch an die Aulen Mettmanner weitergeben. Interessierte können es unter www.aulemettmanner.de unter dem Reiter „Erzählungen von früher“ nachlesen.

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