Einkehr in die Geschichte (1) Lokal-Werbung mit angemaltem "Afrikaner"

Mettmann · Es gibt viele Traditionsgaststätten im Kreis Mettmann. Die RP stellt sie vor. Den Auftakt macht das Lokal "Kleine Schweiz" in Velbert-Tönisheide.

 Ein großes Schild wies Anfang der 1910er-Jahre auf die Kleine Schweiz hin.

Ein großes Schild wies Anfang der 1910er-Jahre auf die Kleine Schweiz hin.

Foto: Familie Wiehoff

Ohne Schnitzel fing alles an. Und nicht nur das: Es gab kein Steak, keine Bratkartoffeln mit Speck und keinen rheinischen Sauerbraten. Dafür wurde im gemütlichen Tönisheider Landgasthof "Kleine Schweiz" Steckrübeneintopf serviert. Vermutlich war Gründer Adolf Wilmsmeyer ein fanatischer Gesundheitsapostel. Jedenfalls sagt man ihm nach, üblicherweise auf dem heutigen Parkplatz der Gaststätte geschlafen zu haben. Unter freiem Himmel, geschützt von einem gespannten Dach zwischen vier Kirschbäumen.

 Heute ist das Schild weg. Wo heute die Gäste parken, nächtigte früher der Lokalgründer.

Heute ist das Schild weg. Wo heute die Gäste parken, nächtigte früher der Lokalgründer.

Foto: Salzburg

Das Wasser aus dem nahe gelegenen Badeteich genügte für die tägliche Morgenwäsche. Und es diente dem winterlichen Eisbad, das der passionierte Läufer Wilmsmeyer gern aufgesucht haben soll. Tote Tiere kamen dem sportlich ambitionierten Gastronomen jedenfalls in seinem Lokal nicht auf den Tisch. Wilmsmeyer führte die "Kleine Schweiz" nach ihrer Eröffnung im Jahr 1910 als vegetarisches Restaurant. Auch was die Werbung in eigener Sache anging, wandelte der Gastronom auf unkonventionellen Wegen. Um möglichst schnell genug Kundschaft ins Haus zu holen, besann er sich auf seine Laufkünste. Längst als "Wunderläufer" bekannt, trat er gegen einen "frisch importierten schwarzen Mann aus Afrika" an.

Leider waren die klimatischen Bedingungen ungünstig: Es regnete in Strömen und der Schweiß tat sein Übriges. Jedenfalls ging während des Wettlaufs durch Tönisheide die schwarze Farbe des Kontrahenten verloren. Gewonnen hat Adolf Wilmsmeyer trotzdem. Auch später noch mal gegen einen eigens für den Wettkampf angereisten Berliner namens Kunze.

Fortan war das Lokal in aller Munde. Und das nicht nur, weil man sich dort die Steckrüben schmecken lassen konnte, sondern auch, um auf dem Esel zum Thielenkopp zu reiten, wo Wilmsmeyers Tochter Kriemhilde einen Getränkeverkauf unterhielt. "Dort gab es eine Freilufttanzfläche, die durch italienische Nächte zu erhöhter Population in der Umgebung geführt haben soll", ist in der Chronik zu lesen. Zu viel Bier und Wein dürften allerdings kaum der Grund für das ausschweifende Nachtleben gewesen sein. Adolf Wilmsmeyer hatte nur eine Konzession für alkoholfreie Getränke. Ein Umstand, der ihn schon bald dazu zwang, sein Lokal mangels Kundschaft in andere Hände zu geben.

Der erste aus der Wiehoff-Familie, die das Restaurant noch immer in vierter Generation betreibt, war Eberhard Wiehoff. Der reiselustige Wirt war zuvor auf die Walz nach Sizilien gegangen. Als neuer Eigentümer der "Kleinen Schweiz" nahm er sich zuerst des Gartens an, um später das Wohnhaus auszubauen. Der Saalanbau war begleitet von Malheuren. Erst stürzten die Gäste mitsamt dem Boden in den Keller. Dann fiel ihnen kurz darauf die mit Steinen und Säcken gefüllte "Wolkendecke" auf den Kopf. Der Wirt und auch seine Gäste ließen sich offenbar nicht entmutigen. Nach wie vor ist die die "Kleine Schweiz" in Familienbesitz. Mittlerweile gibt es dort längst nicht nur Alkohol, sondern auch Steaks, Bratkartoffeln mit Speck und Sauerbraten.

(magu)
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