Mettmann/Erkrath/Wülfrath Ist das schon die zweite Welle?

Mettmann/Erkrath/Wülfrath  · Nach der 50-prozentigen Steigerung der Corona-Fallzahlen am Wochenende und der Schließung einer Kita steigt die Sorge vor einer weiteren Welle. Der Leiter des Kreisgesundheitsamtes, Rudolf Lange, spricht Klartext.

  Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa

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Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Die Zahl der Corona-Infizierten steigt weiter an. Im Kreis Mettmann ist das Virus aktuell bei 91 Menschen nachgewiesen, hieß es am Montag – die Fallzahlen dürften aber höher liegen, auch das Gesundheitsamt geht von einer schwer einzuschätzenden Dunkelziffer aus. Eine (nicht-städtische) Kita in Erkrath, deren Namen die Kreisverwaltung nicht nennen möchte, hat ihren Betrieb wegen eines Coronafalls sogar vorerst einstellen müssen, weil gleich mehrere Betreuungskräfte als Kontaktpersonen unter Quarantäne gestellt werden mussten.

Eine Infektion führt jedoch nicht immer zu einem Ausbruch von Covid-19 und kann unentdeckt bleiben. Nachdem die Fallzahlen um 50 Prozent von Freitag (60) auf Sonntag (90) gestiegen sind, haben wir mit Rudolf Lange die wichtigsten Fragen geklärt.

Erleben wir gerade die zweite Welle? „Tatsächlich haben wir in den letzten Tagen einen deutlichen Anstieg an Erkrankungsfällen“, erklärt der Leiter des Kreisgesundheitsamtes. Dabei handele es sich weitgehend um eine größere Anzahl von jeweils einzelnen oder wenigen, zum Beispiel familiär zusammenhängenden Fällen, kein größeres, zusammenhängendes Geschehen. „Im Vordergrund stehen offenbar private Treffen in kleineren Gruppen oder Familienfeiern, jeweils nicht in der Öffentlichkeit, sondern im privat-häuslichen Umfeld. Dies kann dann rasch zu einer Weiterverbreitung unter den Anwesenden führen, die die Infektion dann wiederum in ihre eigenen Haushalte oder weiteres Umfeld weitertragen“, so Lange weiter. Scheinbar habe es über die letzten Wochen ständig eine minimale ,schleichende’ Weiterverbreitung der Infektionen mit vielfach nicht oder kaum wahrnehmbarem Krankheitsverlauf gegeben. Dass diese nun bei gelockerten Rahmenbedingungen häufiger punktuell auftauchten, war und ist zu erwarten – denn das Virus ist keineswegs verschwunden. „Wenn dann auch noch die gegenseitigen Schutzmaßnahmen im privaten Umfeld weniger beachtet werden, bildet das den Grundstock für weitere familiäre Hotspots. Ob dies als ,zweite Welle’ anzusehen ist – und wie hoch und gewaltig diese nun wieder auf uns zurollt, werden die nächsten Wochen zeigen“, so Lange.

Welche Auswirkungen hat der Anstieg der Fallzahlen? Die damit verbundenen Ermittlungen, Kontaktpersonen-Nachverfolgung und anzuordnenden Quarantänemaßnahmen stellten eine hohe Belastung für das Kreisgesundheitsamt dar. „Sind dann auch noch Kinder in den Familien betroffen, kommt es schnell zu einer Auswirkung auf die von diesen besuchten Kindertagesstätten und Schulen. Allerdings zeigt sich dabei als Vorteil, dass bei einer konsequent umgesetzten Abgrenzung von Teilgruppen innerhalb der Einrichtungen noch weiter greifende Maßnahmen (beispielsweise Schließung ganzer Einrichtungen) vermieden werden konnten“, erklärt der promovierte Mediziner. „Problematische ,Hotspots’ im typischen Sinne, das heißt eine Häufung von Infektionsfällen ausgehend von einer mehr oder weniger öffentlichen Veranstaltung oder Einrichtung oder aber Ausbrüche/Fallhäufungen in sensiblen Einrichtungen haben wir glücklicherweise derzeit im Kreis Mettmann nicht.“

Steuert der Kreis auf einen Lockdown wie in Gütersloh zu? „Sicher ist die Situation in den Kreisen Gütersloh und Warendorf als außergewöhnlich zu sehen. Aber gerade eine weitere Zunahme einer Vielzahl eher punktueller Erkrankungsfälle – also anders als der dort vorliegende weitgehende Zusammenhang mit einem Unternehmen – könnte als eine sich allgemein in der Bevölkerung ausbreitende Infektions-Aktivität bewertet werden – und dann erneute Einschränkungen erfordern“, sagt Rudolf Lange. Ob dies dann aber gleich den ganze Kreis oder möglicherweise eher kleinräumige, aber dann strikte Regelungen erfordern würde, hängt von den konkreten Gegebenheiten ab.“ Übrigens: Wer auf Nummer sicher gehen möchte, und einen Coronatest vor der Fahrt in den Urlaub machen möchte, muss ihn in der Regel selbst bezahlen.

Wie lange wird uns Corona noch begleiten? „Das Kreisgesundheitsamt Mettmann richtet sich darauf ein, voraussichtlich bis weit in das Jahr 2021 mit der Herausforderung der Corona-Epidemie belastet zu sein. Aus fachlicher Sicht erwartet werden muss primär ein Anstieg der Erkrankungszahlen nach den Sommerferien durch die inzwischen gelockerten Kontaktbedingungen im Alltag, dies möglicherweise in Verbindung mit neu mitgebrachten Erkrankungsfällen aus Urlaubsländern, später im Herbst/Winter eine ungünstige Kombination mit den typischen Erkältungskrankheiten sowie auch der klassischen Grippewelle“, berichtet Lange.“ Es bestehe eine geringe Hoffnung, dass vielleicht im Verlauf des Jahres 2021 ein oder mehrere Impfstoffe verfügbar werden könnten, die dann durch Massenimpfungen die Entwicklung einer breiten Immunität in der Bevölkerung und damit zur Eindämmung bis hin optimal zur ,Austrocknung’ der Epidemie ermöglichen könnte. „Dies alles fordert den Öffentlichen Gesundheitsdienst und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Kreisgesundheitsamtes in einem noch nie dagewesenen Umfang“, so Lange.

Was kann ich selbst gegen die Ausbreitung des Coronavirus unternehmen? Als Verhaltenstipp nennt der Mediziner die „AHA-Regel“: Abstand halten – Hände waschen – Alltagsmaske. „Und wie wir an einem Teil der aktuellen Fälle sehen: Auch im privat-familiären Umfeld der eigenen vier Wände sollten Hygieneregeln beachtet werden, um „familiäre Hotspots“ zu vermeiden.“

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