Mettmann In jedem fünften Auto steckt Mettmanner Guss

Mettmann · Autoteile zu bauen, ist wie am Strand Sandkuchen zu backen. Allerdings andersrum: Der Sand ist nicht das Füllmaterial, sondern das Förmchen. Dieser sogenannte Formsand besteht aus Quarzsand, Betonit als Kleber, Wasser als Bindemittel und Kohlenstaub, der den Sand vor Hitze schützt. Zusammengebracht ergibt das eine Masse, aus der mit viel Druck ein überdimensionales Förmchen gepresst wird. Das Ganze geschieht in einem fluidisierten Verfahren: Der Sand "benimmt" sich durch seine Zusammensetzung und durch Luftströme, die ihn leiten, wie Wasser und "fließt" damit in Form.

Bis zu 1000 Tonnen dieser Schrottpakete werden täglich bei Georg Fischer verarbeitet.

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Dadurch soll jeder noch so kleine Winkel erreicht werden. Solche Riesenförmchen stellt Georg Fischer her, um sie dann mit flüssigem Eisen zu befüllen. Dort, wo Hohlräume bleiben sollen, werden Kerne eingesetzt — Platzhalter, die ebenfalls aus einem stark gepressten Sandgemisch bestehen, das jedoch eine andere Zusammensetzung hat. An den Farben ist das gut zu erkennen: Der hitzegeschützte Formsand ist schwarz durch den Kohlenstaub; dem Sand für den Kern, der im Laufe des Prozesses zerfällt, fehlt der Kohlenstaub. Er ist beige, und die Kernrohlinge, die in hohen Regalen in Hallen bei Georg Fischer lagern, sehen aus wie ungebrannte Töpferfiguren.

Das Metall wird in einem Heißwind-Kupolofen geschmolzen – bei rund 1700 Grad Celsius.

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Wer die alten Hallen von Georg Fischer betritt, hat das Gefühl, im Ruhrgebiet der 60er Jahre gelandet zu sein. Es ist warm, laut und dämmrig. Ein Ofen erhitzt Eisen, das in vier große Töpfe läuft, die jeweils 150 Tonnen fassen. Dabei sprühen Funken, als habe jemand eine überdimensionierte Wunderkerze angezündet. Es sind unter anderem zu Quadern gepresste Schrottautos, die bei Georg Fischer eingeschmolzen werden. Ein Schwerlastmagnet, dessen Durchmesser mit dem eines Traktorreifens zu vergleichen ist, hebt das Metall in Boxen, von denen aus es in die Schmelzanlage kommt. Was beim Sandkuchenbacken der Sand ist, ist bei Georg Fischer Schrott. "Bis zu 1000 Tonnen pro Tag, das sind 40 Lkw-Ladungen, werden eingeschmolzen", sagt Karl Rudolph, Leiter des Qualitätsmanagements. Zum Vergleich: "Der Eiffelturm wiegt 7300 Tonnen. Wir würden gut eine Woche brauchen, um ihn einzuschmelzen", sagt Rudolph.

Die Touristenattraktion bleibt stehen, bei Georg Fischer wird "genug anderer Schrott", so Rudolph, eingeschmolzen. Das geschieht — wie beim Kuchenbacken — genau nach Rezept. Die Zusammensetzung ist hinterlegt und wird vollautomatisch geprüft. Wenn die Masse fertig ist, hat sie eine Temperatur von 1700 Grad. In einer Art riesigem Henkelmann, dem Konverter, wird sie dann portionsweise per Stapler zur Formanlage gebracht und von einem Roboterarm in die Sandformen gefüllt. Es sieht aus, als gieße jemand leuchtende Suppe um. Das glühende, flüssige Eisen ist so hell, dass es blendet.

Das Ganze geschieht in der neuen Fertigungslinie AMR, die Georg Fischer in diesem August in Betrieb genommen hat.

36 Millionen Euro hat das Unternehmen investiert, seit November wird sie im Schichtbetrieb genutzt. Die Anlage steht in einer hellen Halle; von der Arbeiter-Atmosphäre aus den vorderen Bereichen ist dort nichts zu sehen. Bevor die Formen mit dem Eisen befüllt werden, macht ein Computer Fotos und prüft damit, ob sie millimetergenau passen und ob alle Kerne, also die Platzhalter, von Hand eingesetzt wurden. Wenn der Rechner einen Fehler feststellt, bleibt die Anlage stehen und ein Mitarbeiter muss kontrollieren. 194 Quadratmeter Formteile werden pro Stunde hergestellt — das sind 32 Prozent mehr als es die alten Anlagen schafften. Autoteile zu produzieren, ist teuer: Allein für Energiekosten zahlte Georg Fischer im vergangenen Jahr 31 Millionen Euro.

Mit der neuen Fertigungslinie AMR rechnet das Unternehmen mit Energie-Einsparungen von 41 Prozent. Die AMR ist nicht nur präziser als die alten Modelle, sondern auch umweltfreundlicher: Die neue Technik sorgt dafür, dass weniger CO2 ausgestoßen wird — gespart wird die Menge, die 500 VW Golf pro Jahr ausstoßen. Sind die Formen befüllt, müssen sie auf 720 Grad abkühlen. Dann werden die fertigen Gussteile mit einer Rütteltechnik vom Sand befreit, der ihnen die Form gab — als schlage jemanden seinen Sandkuchen aus dem Förmchen. Die Autoteile werden dann noch vom Restsand befreit und sind fertig.

Wären Autoteile Menschen, dann gehörten sie zu den Magersüchtigen. Denn sie sind auf Dauerdiät: Um noch mehr zu sparen, wollen Hersteller Autos immer leichter machen — und daher ist man bei Georg Fischer ständig auf der Suche nach Methoden, um das Gewicht der Bauteile zu reduzieren. In der Masse ist Georg Fischer ein echtes Schwergewicht: 200 000 Tonnen Gussteile werden pro Jahr allein in Mettmann produziert. Der Betrieb laufe gut, sagt Geschäftsführer Andreas Güll: "Für 2013 haben wir eine Auslastung der neuen Anlage von 100 Prozent."

1000 Menschen arbeiten im Mettmanner Werk. Viele über Generationen, sagt Güll, der selbst schon seit 24 Jahren im Unternehmen und stolz auf die Treue seiner Mitarbeiter ist. Doch weit mehr Menschen haben täglich mit Produkten aus der Neandertal-Stadt zu tun, ohne es zu wissen: Jedes fünfte Auto, das in Europa verkauft wird, ist mit Schwenklagern aus Mettmann bestückt.

(RP/ac)