Mettmann/Düsseldorf Forschung für ADHS-Kinder
Mettmann/Düsseldorf · Sechs Grundschulen testeten ein Lernprogramm, mit dem Kinder mit Zappelphilipp-Syndrom auf neue Art unterrichtet werden. Bei dem Forschungsprojekt der FH Düsseldorf gibt es jetzt die ersten Ergebnisse.
Achim ist ein Chaot. Das sagen alle: seine Eltern, seine Freunde, seine Lehrerin. Die vor allem. Denn der Achtjährige stört oft den Unterricht, jeden Tag vergisst er irgendwas — sein Lesebuch, seine Rechenaufgaben, seinen Stundenplan. Alles fängt er an und führt nichts zu Ende. Also wird er ermahnt, ausgeschimpft, bestraft. Was sonst?
"Es gibt eine Menge Möglichkeiten", sagt Charlotte Hanisch (37), Professorin für Psychologie an der Fachhochschule. Sie hat an Grundschulen eine Methode für den besseren Umgang mit Kindern erprobt, die sich nicht konzentrieren können, die ständig rumzappeln. Die ersten Ergebnisse liegen nun nach einem Schuljahr vor. Der Kernpunkt: Ein Lob hilft mehr als tausend Klagen.
Reizüberflutung
Kinder wie Achim sind keine Seltenheit: Bei ihm wurde ADHS diagnostiziert. Die Abkürzung steht für Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung. Früher hat man solche Kinder "Zappelphilipp" genannt. Eine genetische Veranlagung spielt wohl eine entscheidende Rolle. Hanisch: "Wir gehen davon aus, dass sich auch die Reizüberflutung unseres Alltags negativ auswirkt." Das heißt: Die Kombination von Veranlagung und stundenlangem Computerspiel sei fatal.
Diese Spirale will Charlotte Hanisch unterbrechen. Deshalb transportiert sie Methoden, die aus der Psychotherapie bekannt sind, in die Schulen und setzt an dem Punkt an, der für jeden Zappelphilipp besonders problematisch ist: bei den Hausaufgaben. Von Pädagogen das "selbst organisierte" Lernen genannt, für Achim eine tägliche Kapitulation: "Die kann ich gar nicht." Er träumt lieber vor sich hin.
Jetzt hat Hanisch mit der Auswertung der ersten Ergebnisse ihres Projekts begonnen. Dabei wurden die Lehrer über ihre Erfahrungen mit den Trainingsmethoden befragt. Tests sollten außerdem herausfinden, ob die Kinder sich nun besser konzentrieren können. "Es sieht so aus, dass sich das Verhalten der Schüler tatsächlich ändert."
In Düsseldorf wird das Programm im kommenden Schuljahr nur an einer Montessori-Grundschule fortgesetzt. Sie war die einzige Schule, die bereit war mitzumachen. Hanisch: "Der Aufwand für die Lehrer ist relativ groß." Dafür kommen jetzt Schulen in Köln zum Zuge.
Der Trick mit der Zitrone
Im letzten Schuljahr wurden in sechs Grundschulen Kinder ausgesucht, die Mühe hatten mit der Konzentration. Aber vor allem müssen die Lehrer noch mal auf die Schulbank zurückkehren, damit sie lernen, mit ihren Sorgenkindern anders umzugehen. Hanisch: "Die Idee ist, den Blick nicht auf all das zu lenken, was nicht klappt, sondern auf das Positive." Wenn Achim es also schafft, pünktlich zur Hausaufgabenbetreuung zu kommen, wird er kräftig gelobt.
Allenfalls zum Schluss folgt in einem Schlenker: "Wenn du morgen auch an deine Bücher denkst, wäre das noch toller." Die Psychologin ist überzeugt, dass ein solcher Ton dazu führt, dass Kinder entspannter an ihre Aufgaben gehen. "Denn bisher haben sie Schule immer nur als Ort ihrer Misserfolge erlebt."
Gleichzeitig trainieren sie, wie sie sich besser organisieren können. Nach kurzer Zeit ist für Achim selbstverständlich, was er früher nie geschafft hat: "Ich nehm' jetzt immer nur das Buch aus dem Ranzen, das ich gerade brauche." Und dann ist da noch der Trick mit der Zitrone, mit der Achim zu Beginn der Hausaufgaben Entspannungsübungen macht. Pressen und loslassen. "Hilft super." Das alles trägt er in eine Mappe ein. Denn Achim ist sein eigener "Detektiv", und wenn er an die Regeln gedacht hat, wird er umgehend gelobt: mit witzigen Kärtchen, die eine Kölner Künstlerin gezeichnet hat. "Das hab' ich super gemacht", steht etwa drauf. "Denn Eigenlob stinkt gar nicht", meint Hanisch, "das hat man uns immer nur eingeredet".
Achim hat mittlerweile einen großen Stapel Belohnungskärtchen gesammelt, die er stolz vorzeigt. Sein größter Erfolg: Zum ersten Mal fehlte in seinem Zeugnis der Hinweis: "Achim stört den Unterricht."