Mettmann Die Gänse von Schobbenhaus
Mettmann · Johannes Kircher, Landwirt aus Mettmann, zieht jedes Jahr ab Mai Gänse auf.
Inmitten dunkler Zeiten waren sie ein Trost. Vom Fenster eines Freundes aus ließen sie sich über Stunden hinweg beobachten. Man durfte ihnen aus der Ferne bei ihren Plaudereien zuhören, andere würden sowas vielleicht für lästiges Geschnatter halten. Still war es den ganzen Sommer hinweg nie – für besondere Aufregung und lautes Geschrei hatten sie dennoch immer einen Grund.
Manchmal sah man einen Habicht über ihnen kreisen oder ein Auto fuhr den Feldweg entlang auf den Hof. Und auch dann, wenn man selbst nichts gesehen hatte, konnte man sicher sein: Sie hatten ihn irgendwo entdeckt, den Störenfried. Allen voran der Fuchs, der ihnen an die Federn wollte. Und dann, um die Weihnachtszeit, wurde es plötzlich still. Die Wiese blieb leer. Dass man sich an ihren Anblick gewöhnt hatte und sie nun nicht mehr da waren? Ja, das war traurig. Aber dann kam der Mai, und mit ihm kamen neue Gänse. Ihr Dasein war ein Grund zur Freude – und ihr Leben war so, wie man es sich für eine Gans wünscht. Immer draußen, ein Teich in der Nähe: Ein glückliches Gänseleben. Aus Sicht einer Vegetarierin zu kurz – aber gut, das muss nicht jeder so sehen.
Weil sich die Wege trennten und der Freund später starb, haben wir uns aus den Augen verloren. Und nun, nach einigen Jahren, sind wir uns wieder begegnet. Auf dem Hof von Gut Schobbenhaus, in der Außenbürgerschaft. Wunderbar, dieses Geschnatter, mit dem man dort begrüßt wird. Man braucht nirgendwo zu klingeln, als Gast bleibt man jedenfalls nicht ungehört. Landwirt Johannes Kircher eilt gleich herbei, er kann viel erzählen aus dem Leben seiner gefiederten Wiesenbewohner. Mehr als 1000 sind es jetzt noch, die da um ihn herumschnattern. Bis zu den Weihnachtstagen werden es täglich weniger – und dann ist der Hof plötzlich umfangen von besagter Stille. „Man braucht schon zwei Wochen, um sich daran zu gewöhnen“, sagt Johannes Kircher über den Tag, an dem die letzte seiner Gänse geschlachtet wird. Obwohl, so ganz ohne Gans ist der Hof auch dann nicht. Vier von ihnen haben einen Sonderstatus, einer der Dauergäste ist schon stolze 16 Jahre alt. Irgendwie hatten sie das Herz des Landwirts erobert – und der konnte sie dann einfach nicht schlachten. „Diese dort war einst morgens immer die erste, die aus dem Stall lief – und abends die letzte“, zeigt Johannes Kircher auf das muntere Quartett. Als er sie irgendwann „am Wickel“ hatte, schaute er in sein Bestellbuch. Dort stand nichts mehr drin – und die Gans durfte bleiben.
Bald schon geht der Blick wieder zu den 1000 schnatternden Schnäbeln auf der anderen Seite der Wiese. Ja, der Gedanke ans Schlachten lässt einem das Herz schwer werden. Man sieht sie die Flügel spreizen und weiß, dass sie das nicht mehr allzu lange tun können. Und dennoch, auf Gut Schobbenhaus werden sie gehegt und gepflegt.
Wenn sie im Mai kommen, sind sie gerade vier Wochen alt. Noch zu jung und ungeschützt, um im Regenguss nass werden zu dürfen. Der Wetterbericht ist in diesen Zeiten etwas, das Johannes Kircher noch weniger aus dem Auge verlieren darf, als er es als Landwirt ohnehin schon tut. Morgens geht’s raus aus dem Stall und abends rein. „Ruhig ist es eigentlich nie, auch nicht in der Nacht“, sagt Kircher über die nächtlichen Quasselgewohnheiten der Gefiederten. Zwischendurch geht’s zum Wellnessbad auf die Wiese nebenan – solange die Neuankömmlinge noch jung sind, werden sie von den vier Alteingesessenen am Tor abgeholt und abends dort abgeliefert. Für den Landwirt bleibt dann nur noch, die Passage über den Feldweg zu überwachen.
Auf dem Speiseplan stehen Gras und das Getreide aus eigener Ernte. Gänse stopfen ist tabu und strengstens verboten – und dennoch weiß Johannes Kircher, dass gestopfte Importe aus Nachbarländern für unter zehn Euro pro Kilo auch hier auf dem Markt angeboten werden. Bei ihm muss man für die gleiche Menge 15,30 Euro berappen – dafür hatten seine Gänse ein gutes Leben und als Feinschmecker weiß man dazu auch noch, woher sie kommen. Die Weihnachtstage werfen derweilen ihre Schatten voraus – auf Gut Schobbenhaus wird es bald wieder still sein, bis zum nächsten Mai....