Mettmann Afrikaner helfen Neanderthal-Museum

Mettmann · In Höhlen in den Pyrenäen gibt es bisher kaum erforschte Fußabdrücke aus der Eiszeit. Ein Wissenschaftsteam, zu dem ein Archäologe aus dem Mettmanner Museum gehört, will diese entschlüsseln. Dabei helfen Fährtenleser aus Namibia.

 Tilman Lenssen-Erz (l.) und Andreas Pastoors besuchten gestern mit den San-Jägern das Neanderthal Museum.

Tilman Lenssen-Erz (l.) und Andreas Pastoors besuchten gestern mit den San-Jägern das Neanderthal Museum.

Foto: janicki

Es ist für Tsamkxao Cigae ein Leichtes, seine Frau zu finden, wenn der Handy-Akku mal wieder leer ist und er sie nicht erreichen kann. "Dann lese ich eben ihre Fußspuren", sagt Cigae und lacht. Im namibischen Buschgebiet folgt er ihrer Fährte und findet die Gattin dann irgendwo rund um das Dorf, in dem die beiden leben und das zwar weder fließendes Wasser noch Strom, dafür aber ein Handynetz zu bieten hat.

Normalerweise spürt er anhand von Fußabdrücken allerdings nicht seine Frau, sondern wilde Tiere für Touristen auf. Tsamkxao Cigae arbeitet in einer namibischen Lodge, die Safaris anbietet. Er gehört zu den San-Jägern, auch bekannt als Buschleute, die in Namibia Fährtensucher und Jagdführer sind. Anhand der Spuren auf dem trockenen Boden weiß Cigae, wo er Elefanten, Giraffen oder Antilopen finden kann.

Cigae gilt als einer der besten Fährtenleser Afrikas, und diese Fähigkeit will nun ein Team europäischer Wissenschaftler nutzen, um mehr Informationen über eiszeitliche Fußspuren in Höhlen in den Pyrenäen zu bekommen. Dass dort hunderte Abdrücke im Boden erhalten sind, ist seit den 1920er Jahren bekannt. Allerdings fehlte bisher das Wissen, die Spuren zu deuten, erklärt Andreas Pastoors.

Der Archäologe arbeitet im Mettmanner Neanderthal Museum, welches das ungewöhnliche Forschungsprojekt namens "Tracking in caves" mit der Universität zu Köln ins Leben gerufen hat. "Wir kennen nur die Größenverhältnisse und dergleichen", sagt Pastoors.

Warum aber Fußspuren von Vierjährigen bis hin zu Erwachsenen in den Höhlen verteilt sind, ob es sich um Relikte eines Rituals handelt, wie bislang vermutet wurde, ist unklar. Tsamkxao Cigae und zwei weitere San-Jäger sollen helfen, das Rätsel zu lösen. Heute fliegen sie nach Frankreich, zwei Wochen lang werden sie in sechs Höhlen die Abdrücke unter die Lupe nehmen.

Die Wissenschaftler zeichnen die Gespräche auf und lassen sie ins Englische übersetzen. Denn es geht nicht nur um das Ergebnis, sondern auch um den Weg dorthin. "Uns interessiert die Methode", sagt Pastoors. Worauf achten die San-Jäger bei den rund 17.000 Jahre alten Abdrücken zuerst, wie gehen sie vor, welche Sinne nutzen sie?

Das Fährtenlesen haben die San-Jäger in Generationen perfektioniert. Aus dem Abdruck eines Elefantenfußes im staubigen namibischen Boden erkennen sie anhand der Druckverteilung sogar, ob es sich um ein Tier mit großen oder kleinen Stoßzähnen handelt. Sie lesen nicht nur, wohin die Tiere gewandert sind, sondern auch wann. "Wir sehen, ob sie vorgestern oder gestern da waren; ob es mittags oder morgens war", sagt Tsamkxao Cigae.

Für die Wissenschaftler um Andreas Pastoors ist das eine Fähigkeit, die ihnen in Frankreich helfen soll, mehr über das Leben in der Eiszeit zu erfahren: Wie haben sich die Höhlenbewohner, Homo sapiens sapiens, bewegt? Welche Körperhaltung hatten sie, welche Verhaltensweisen? Diese Fragen soll die Erfahrung der San-Jäger klären, die anhand der Abdrücke (die für ungeübte Betrachter auf Fotos eher wie eine Mondlandschaft aussehen) Schlüsse ziehen. Für das Projekt wurde allerdings erst einmal eine gemeinsame "Sprache" benötigt.

Das Wissenschaftsteam reiste nach Namibia und beobachtete die San-Jäger bei ihrer Arbeit. Es stellte sich heraus, dass die Europäer viel nachfragen mussten, um überhaupt zu verstehen, was die San-Jäger meinen, wenn sie Spuren lesen, berichtet Tilman Lenssen-Erz von der Forschungsstelle Afrika der Universität zu Köln. So lassen die San-Jäger etwa die Windrichtung und die Wetterbedingungen nahezu intuitiv beim Fährtenlesen einfließen. Doch es waren nicht nur die Wissenschaftler aus Europa, die lernen mussten: Tsamkxao Cigae und seine beiden Spurenleser-Kollegen betraten zum ersten Mal in ihrem Leben eine Höhle, um die Bedingungen zu erleben.

Die europäischen Wissenschaftler sind sich sicher, dass das Projekt neue Erkenntnisse bringen wird. Und auch die San-Jäger, die im Rahmen des Projekts bezahlt werden, als wären sie "klassische" Spezialisten eines Forschungsprojektes, sind zuversichtlich: Fährtenlesen sei nun mal ihre Aufgabe, sagt Tsamkxao Cigae. "Für uns ist das wirklich einfach."

(RP)
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