Im Dezember jährt sich das Unglück zum ersten Mal Die Lehren aus dem Zugunglück

Im Dezember ist es ein Jahr her, dass in Osterath ein Personen- und ein Güterzug aufeinander prallten. 41 Menschen wurden verletzt. Der Einsatz hat Rettungskräfte nachhaltig beschäftigt und ist immer noch Thema bei Fortbildungen.

 Am 5. Dezember 2017 waren ein voll besetzter Personenzug und ein Güterzug in Osterath aufeinandergeprallt.

Am 5. Dezember 2017 waren ein voll besetzter Personenzug und ein Güterzug in Osterath aufeinandergeprallt.

Foto: RP/dpa, mg

Dass sich ein solcher Unfall wiederholt, wünscht sich niemand. Aber falls doch – siehe ICE-Unglück vom vergangenen Freitag in Montabaur: Dann will die Feuerwehr darauf vorbereitet sein. Und hat darum das Zugunglück vom 5. Dezember ausführlich analysiert, detailgenau bilanziert, ob Fehler gemacht worden sind, was man hätte besser machen können. Stefan Meuter (46), stellvertretender Kreisbrandmeister und damals einer von zwei Einsatzleitern, sagt heute im Rückblick: „Ich würde alles genau so wieder machen.“ Gleichwohl hat das Zugunglück von Meerbusch einige Schwächen aufgezeigt, die bereits zum größten Teil behoben worden sind. Die Feuerwehr und alle anderen Retter haben eindeutige Lehren aus dem Unglück gezogen.

Erdung Wenn bei einem Bahnunglück die Oberleitung reißt und auf den Zug fällt, steht der unter Strom -10.000 Volt stark. Das heißt: Wer aus dem Zug springt und auf dem Boden landet, kann einen Stromschlag erleiden. Retter wissen, dass ein Zug geerdet werden muss, darum müssen Notfallmanager der Bahn die Erdung vornehmen. Nachdem der Zug stromlos geschaltet wurde, kommen Erdungsstangen zum Einsatz. Die werden von der Oberleitung in die Erde geführt, um die Spannung rauszuholen. Ähnlich war es auch am Freitag beim ICE-Unglück in Montabaur: Fahrgäste wollten sich aus dem brennenden Zug retten, ein Polizist an Bord, der von Stromspannung und Erdung wusste, konnte sie noch gerade zurückhalten. So war es auch in Meerbusch. „Das war der Grund, warum die Fahrgäste so lange im Zug ausharren mussten. Wir mussten erst auf die endgültige Freigabe durch den Notfallmanager warten,“ sagt Stefan Meuter. Dieser Notfallmanager führt immer nur ein „Erdungsbesteck“ mit, in Meerbusch wurden aber mehrere gebraucht.

Die Lehre daraus: „Wir holen in Zukunft immer zusätzlich zum Notfallmanager der Bahn die der Düsseldorfer Feuerwehr mit ihrem Erdungsbesteck. Die Kollegen sind speziell ausgebildet, denen stehen mehr Stangen zur Verfügung.“ Mit dem Blick nach Düsseldorf spricht Meuter eine günstige Lage an: Im Kreis Neuss sei die Feuerwehr in der guten Position, Kollegen aus Gladbach, Krefeld, Köln und ebne Düsseldorf zu Rate ziehen zu können. So müsse nicht selbst die komplette Technik vorgehalten, sondern könnte geteilt werden.

Medien Das Zugunglück hatte binnen weniger Sekunden nach dem Zusammenstoß von Personen- und Güterzug ein Echo in den Sozialen Medien. Fahrgäste twitterten aus dem Zug heraus, die Feuerwehr informierte via Twitter über den Stand der Rettung. Meuter gibt zu, dass er diese medialen Auswirkungen auch im Laufe der folgenden Stunden und der nächsten Tage vorher nicht habe einschätzen können. Ein Fehler der Feuerwehr: „Wir hatten keinen Mann abgestellt, der selber Bilder gemacht hat, weder mit der Kamera noch mit der Drohne.“ So habe sich die Feuerwehr in den Tagen danach erst mal Fotos zukaufen müssen, um den Einsatz aufarbeiten zu können.

Die Lehre daraus: Bei Einsätzen dieser Dimension wird ein Feuerwehrmann speziell abgestellt, um Fotos zu machen – vor allem für die Dokumentation hinterher. Außerdem wird mehr Wert auf Kommunikation in den Sozialen Medien gelegt, um für eine transparente Kommunikation zu sorgen – auch für Angehörige mit ihren Fragen.

Zuführung von Kräften Insgesamt waren mehr als 400 Helfer im Einsatz, darunter viele Ortsfremde, die man erst an den Einsatzort bringen und dann einteilen musste. Das sei etwas unübersichtlich gewesen.

Die Lehre daraus Seit dem Zugunglück gibt es kreisweit in jedem Ort zwei feste Sammelpunkte, zu denen die externen Retter gefahren und von dort zum Einsatzort gebracht werden.

Kennzeichnung Am 5. Dezember prallten die Züge zwischen Bahnhof Osterath und Bahnhof Greit aufeinander. Die Bezeichnung Greit kannte bei der Bahn aber niemand, die Bahnhöfe werden dort mit Nummern markiert und kommuniziert. Diese Nummern aber kennt die Feuerwehr nicht, also gab es Kommunikationsprobleme.

Die Lehre daraus Es gibt jetzt einheitliche Bezeichnungen für die Stationen, so dass Feuerwehr und Bahn von den gleichen Orten sprechen.

Verletzten-Transport Nicht alle, aber einige der Verletzten konnten nicht alleine gehen und mussten zur Sammelstelle transportiert werden. Das passiert in solchen Fällen mit Draisinen, also kleinen Schienenfahrzeugen, die auf Parallelgleisen fahren können. Davon gab es zwar drei, das war für den „Massenanfall an Verletzten (MANV)“, wie es in der Fachsprache heißt, zu wenig.

Die Lehre daraus Die Feuerwehren im Kreis mit Bahnstrecken halten nun Draisinen vor.

Zusätzlich gibt es noch viele kleinere Punkte, die die Feuerwehr neu strukturiert oder im Blick hat. So gehört ab 2019 zum Einsatzleitwagen 2 ein Mannschaftstransporter, um mehr Kräfte fahren zu können. Auch das Thema Gaffer/Personenschutz wurde diskutiert. Normalerweise würden Verletzte oder Betroffene bei einem solchen Unfall mit Decken oder hinter Schutzwänden vor Blicken anderer geschützt. Eine Gratwanderung, sagt Stefan Meuter. Viele Fahrgäste hätten den ganzen Abend gepostet und getwittert und so mit der Öffentlichkeit kommuniziert, außerdem hatte der WDR an dem Abend ein Live-Interview mit einem betroffenen Fahrgast in dem Personenzug geführt – noch während die Rettung lief und keiner wusste, wie sie ausgehen würde. „Dann wünschen wir ihnen noch eine gute Rettung“ lautete die Abmoderation im Studio. „Eine neue Form der Berichterstattung“, so Meuter. Darauf müsse man sich erst mal einstellen. Die Feuerwehr solle Personen schützen, die dann Live-Interviews geben? „Das hat uns irritiert.“

 Die  Feuerwehr war am 5. Dezember mit einem Großaufgebot im Einsatz.

Die  Feuerwehr war am 5. Dezember mit einem Großaufgebot im Einsatz.

Foto: CHRISTOPH REICHWEIN
 Stefan Meuter, stellvertretender Kreisbrandmeister, in seinem Büro bei Alu-Norf. Dort leitet er die Werksfeuerwehr.

Stefan Meuter, stellvertretender Kreisbrandmeister, in seinem Büro bei Alu-Norf. Dort leitet er die Werksfeuerwehr.

Foto: RP/Anke Kronemeyer

Mit diesen Erkenntnissen ziehen Stefan Meuter und Tim Söhnchen, stellvertretender Leiter der Feuerwehr Meerbusch und beim Unglück erster Einsatzleiter, seit dem Unfall durch Deutschland. Beide haben schon mehr als zehn Mal ihren Vortrag vor Fach-Kollegen gehalten, um vom „VU_ZUG/MANV_3“ zu erzählen und zu schildern, was in der Nacht los gewesen ist, wie die Retter gearbeitet und wie viel Glück alle Beteiligten hatten. Denn wäre der Güterzug beladen gewesen, wären die Waggons nicht aus dem Gleisen gesprungen, und der Einsatz wäre anders ausgegangen.

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